Portrait: Der Dienstälteste
Im Mai 2016, als sich also längst der Spätherbst über die journalistische Karriere des Rolf Seelheim gelegt hatte, wurde den Leserinnen und Lesern der Oldenburger Nordwest-Zeitung noch einmal klar, was das für einer ist, der seit 25 Jahren als Chefredakteur im Pressehaus an der Peterstraße agiert.
In einem Kommentar hatte Seelheim verantwortungsvoll handelnde Behörden – Staatsanwaltschaft, Gericht, Stadt und Polizei – als „Schweigekartell“ bezeichnet, weil sie einen Fall von sexuellem Missbrauch in einer Flüchtlingsunterkunft nicht öffentlich gemacht hätten. Er schrieb von Verbrechen, die „systematisch verheimlicht“ würden, um „das Bild einer heilen Welt“ zu zeichnen, „das nichts zu tun hat mit dem oft grausamen Alltag“.
Dabei kümmerte sich Seelheim nicht um Äußerungen der Behörden, die auf den Schutz des Opfers verwiesen, weshalb der Fall – das ist gängige und eben verantwortungsvolle Praxis – nicht öffentlich gemacht worden sei. So war Seelheim oft in seinen Kommentaren: gnadenlos verflachend, bis zur Verkennung von Tatsachen zuspitzend, irrlichternd nur knapp über dem Stammtisch.
Man konnte also froh sein darüber, dass er zum 31. August gehen würde. Die Leser dieser immer noch großen Regionalzeitung mit 114.000 verkauften Exemplaren verdienen mehr Ausgewogenheit, mehr Vielfalt und mehr von dem, was so wichtig ist in diesem Segment des Journalismus: die Begleitung von Entwicklungen, Ereignissen und Akteuren in der Region, auf die die großen Medien nur selten schauen.
Sachverhalte, die gerade deshalb nicht belobhudelt, sondern auch mal hart angefasst gehören. Eine Zeitung muss nicht eine Region retten wollen, indem sie geplante Autobahnen, verkaufsoffene Sonntage und die großen Unternehmer pauschal gut findet.
Es geht der dienstälteste Chefredakteur einer deutschen Tageszeitung; vor mehreren Hundert Menschen, die irgendwie wichtig sind im Nordwesten, hat er sich kürzlich bei einer Feier verabschiedet. Und wenn ihm dort Ministerpräsident Stephan Weil attestierte, Seelheim habe die Nordwest-Zeitung zum „publizistischen Schwergewicht“ in der Weser-Ems-Region gemacht, dann stimmt das insofern, als dass man an dem Blatt einfach nicht vorbeikommt.
Das aber hatte vor allem mit verlegerischem Imperialstreben zu tun. Beteiligungen an Zeitungen wurden auch mal am Bundeskartellamt vorbei erworben, Mäntel von Lokalzeitungen werden von Oldenburg aus bestückt. So konnte man Seelheims Tun selbst in den Ferien auf den ostfriesischen Inseln spüren, wobei man dort ja eigentlich Ruhe sucht.
Es folgt nun Lars Reckermann, bislang Chef der Schwäbischen Post und Gmünder Tagespost. Dort ist er oft mit Lesern durch die Region gewandert, um zu erfahren, was sie bewegt. Geschichten wird er auch im Norden finden. Und es ist nicht alles gut. Felix Zimmermann
Der Autor hat 1994 erste journalistische Versuche bei der NWZ gemacht. Seit 2012 leitet er die taz.am wochenende.
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