Portrait eines Hackers: Die Faszination des Fehlers
Hacken ist eine Lebensphilosophie, sagt Martin Taucher. Aber es sollte trotzdem ein Hobby bleiben. Über den Antrieb und die Utopien eines Berliner Hackers.
BERLIN taz | Es war ein Winterabend in Berlin. Martin Taucher stand an der Haltestelle in der Friedrichstraße. 30 Minuten musste er auf die Tram warten. Es war richtig kalt. Zum Zeitvertreib schaute sich Taucher das Stadtinfo-Terminal der Berliner Wall AG genauer an: Diese digitale Tonne, ausgestattet mit Telefon, Surf-Möglichkeit und einem Kreditkartenschlitz. Und er sah sofort, das Programm läuft auf Windows. Müsste funktionieren, dachte er. Dass es da Sicherheitslücken gab, war schließlich allgemein bekannt.
Er zog noch einmal los, entschlüsselte die VPN- und Server-Passwörter, notierte sie auf dem Berliner Stadtmagazin Tip, weil er nichts anderes zu schreiben hatte. Vom Server daheim griff er zu.
Martin Taucher heißt in Wirklichkeit anders, seine Name wurde für diesen Bericht zum Schutz vor juristischen Scherereien geändert. Martin Taucher ist ein Hacker.
Es war vielleicht sein verrücktester Hack, sagt er. Er konnte jede Transaktion verfolgen und jede Kreditkartennummer erkennen, die in den Jahren eingegeben worden war. Er musste sich nur über eine Fernwartungssoftware einwählen. Passwort wie Benutzername des Administrators hatte er ja gehackt.
Mittlerweile sei die Lücke gestopft. Ob der Zugang jetzt noch funktioniere? Taucher zuckt mit den Schultern: "Keine Ahnung." Als er zuletzt vor ein, zwei Jahren den Zugriff über den Admin versuchte, hat es noch geklappt. Das Ganze liege "vier, fünf Jahre" zurück.
Der Blick für das Urmenschliche
Was ist eigentlich so reizvoll am Hacken? "Hacken ist eine Lebensphilosophie, eine Haltung", sagt Martin Taucher. Es gehe ihm vor allem darum, Systeme zu verstehen. Er will die Grundlagen kennen. Dabei gehe es ihm keinesfalls nur um die Technik. Es kursiere ein verzerrtes Bild über Hacker. Film und Fernsehen stilisierten sie "regelrecht zu Überwesen".
Dabei geht es Taucher um etwas Urmenschliches, um Fehler. Es sei, wie wenn man vor einem Haus steht, das verschlossen sei und man wolle hinein. Die Rollläden seien unten, die Türen zu, aber es gibt ja vielleicht noch andere Wege. Und weil nicht nur einer sucht, sondern Tausende, komme irgendwer auf die Idee, mal einen bestimmten Dachziegel anzuheben – und findet die Sicherheitslücke.
"Jedes System hat Brüche", sagt Taucher. Wenn nur genügend Leute suchten, finde einer den Fehler. Das sei eine Frage des Glücks und der Wahrscheinlichkeit.
Und was passiert, wenn eine Lücke entdeckt ist? Taucher will sie beseitigen und zugänglich machen. Es stört ihn grundsätzlich, wenn Systeme installiert werden, zu denen nur bestimmte Menschen Zugang haben. Er will daran teilhaben, nur offener Code kann von Vielen auf Fehler untersucht werden. Taucher will solche Systeme verstehen. Er liest sich dann durch Handbücher und Einträge im Netz, liest viel quer, um definierte Grenzen auszumachen – und sie zu sprengen.
Diese Offenheit von Systemen, diese Transparenz wünscht sich Taucher auch in der Politik. "Liquid Democracy" heißt das Schlagwort. Seine Utopie ist der maschinenlesbare Staat, in der alle wichtigen Informationen digitalisiert offen liegen. Aus diesem Grunde sympathisiert er auch mit der Piratenpartei, die nach Tauchers Einschätzung auch zu einem guten Stück aus der hiesigen Hackerszene hervorgegangen ist.
Mit zehn angefangen, zu programmieren
Martin Taucher ist mit der Computertechnik groß geworden. Mit Zehn bekam er den ersten Computer von seinem Vater geschenkt. Damals, Mitte der Achtziger, war das noch die Ausnahme und Taucher der Einzige in seinem Freundeskreis in seinem Heimatdorf. Die anderen hatten Konsolen, spielten Videospiele. Er lernte Programmiersprachen.
Damit hat er viel Zeit verbracht. Oft saß er allein in seinem Zimmer, studierte Handbücher und programmierte, anstatt auf Partys zu gehen. Mit 14 gelang ihm der erste Hack.
Ist das Hacken alles im Leben? Dass Hacker generell einsame Menschen sind, sei ein Vorurteil. Vielleicht habe das früher mal gestimmt, sagt Martin Taucher, aber das habe sich geändert. Er selbst ist verheiratet und hat einen Sohn, das ist ihm wichtig. Außerdem sind sie mit vielen Paaren befreundet, die auch hacken.
Klar, auch er sei "schon ein Nerd", aber es bleibe ein Hobby. Beruflich entwickelt er mikroelektronische Steuersysteme. Gefährlich werde es nur, wenn man mit Hacken seinen Unterhalt verdienen müsse und womöglich in Abhängigkeiten gerate. "Als Hacker hast du auch viel Verantwortung."
"Blut an den Händen"
Es gebe ja auch welche, die ihr Wissen verkaufen würden, zum Beispiel auf Exploit-Börsen. Und wenn Wissen über Lücken in Sicherheitssystemen und sensible Daten in die Hände von kriminellen Organisationen oder Regierungen gerieten, politische Dissidenten verfolgt würden, "dann hast du Blut an den Händen!", sagt Taucher.
Was macht er, wenn er nicht hackt? Taucher lacht. Manchmal brauche er auch eine Kommunikationssperre, kein Telefon, kein Internet, kein Garnichts. Oder einfach Zeit zum Abhängen.
Warum Berlin? Es war ein Hack, sagt er. Ende der Neunziger, auf einer Technikmesse. Eine Firma stellte ihr PC-Schutzsystem vor. Es sollte dort gehackt werden. Fehlersuche. Sein Spezialgebiet. Weil er wieder nichts dabeihatte, ging er in den Nebenraum, kaufte ein Buch, las, analysierte, suchte, fand die Lücke.
Gleichgewicht herstellen
Danach ging es ganz schnell. Die Firma wollte ihn sofort engagieren. Er zog nach Berlin, tüftelte am Prototyp weiter. Es hätte auch eine andere Großstadt sein können, "aber eine Großstadt, auf jeden Fall".
Was sein Traum ist? Ein Gleichgewicht herstellen, das wünscht er sich. Im Leben wie im Netz. Danach suchen, was glücklich macht und was am Glück hindert, radikal. Deshalb hat er sein Studium damals abgebrochen, es hatte ihn nicht erfüllt, ein bisschen Ego war auch dabei, es klappt auch so.
Dieser Text ist entstanden in der taz.akademie im Rahmen des 1. taz Panter Workshops Online "Internet Hauptstadt Berlin" für angehende Journalisten.
Sind Hacker die besseren Menschen? Nein, das seien sie nicht, aber im Durchschnitt vielleicht schon, sagt er und lacht wieder.
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