Porträt: Der nette Herr Gothe
Seit zwei Jahren ist Ephraim Gothe Baustadtrat in Mitte. Sympathisch finden ihn viele, doch die Kritik an seiner Arbeitsweise nimmt zu: Gothes politische Alleingänge nerven BVV und Mitstreiter zusehends.
Man kann gar nicht anders als ihn sympathisch finden, den Herrn Baustadtrat aus Mitte. Zum Gespräch am frühen Abend kommt Ephraim Gothe leicht verspätet, mit zerzaustem Haar und eilenden Schrittes. Er grinst und gibt die Hand - und gibt einem dabei das Gefühl, dass er sich ehrlich auf das Treffen freut. Es macht Spaß, mit ihm zu sprechen. Und doch sind da die Vorwürfe politischer Mitstreiter: Über das strategische Vorgehen Gothes im Bezirksamt, über die mangelnde Abstimmung mit der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), über die Alleingänge. "Gothe hat noch nicht verstanden, wie das Wechselspiel von BVV und Bezirksamt funktioniert", mokiert sich einer, der oft mit dem Stadtrat zu tun hat. "Einfach machen, das macht man nicht."
Zwei Jahre ist der Sozialdemokrat Gothe nun im Amt. Zwei Jahre, in denen er sich ausreichend Gegner gemacht hat. Selten wegen fachlicher Inhalte - es ist eher die Vorgehensweise, die Mitarbeiter und Mitstreiter wechselweise den Kopf schütteln lässt oder ärgert. Bei der Diskussion um das Bundeswehr-Gelöbnis im Sommer hat er gar Bundespolitiker gegen sich aufgebracht.
Das zuständige Bezirksamt Mitte hatte die Genehmigung für das öffentliche Gelöbnis vor dem Reichstag zunächst verweigert. Das Grünflächenamt hatte erklärt, die dafür beanspruchte Rasenfläche auf der Westseite des Gebäudes werde durch die Veranstaltung zu sehr in Mitleidenschaft gezogen. Erst als der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Bezirksbürgermeister Christian Hanke (beide SPD) intervenierten, machte die Behörde die Entscheidung rückgängig. Gerüchte kamen auf, der ablehnende Bescheid sei gar nicht über Gothes Schreibtisch gegangen. "Er vermittelt eben grundsätzlich nicht den Eindruck, dass er Autorität hat", ist noch heute zu hören.
Vom Briefwechsel mit dem Ministerium zum Gelöbnis habe er selbstverständlich gewusst, kontert Gothe. "Es ist mir bis heute nicht klar, warum das Verteidigungsministerium etwas beantragte, was laut Urteil des Verwaltungsgerichts nicht geht: Einen ganzen Stadtteil per Straßensondernutzung der Öffentlichkeit entziehen", erklärt er der taz.
Doch die Vor-Zurück-Aktionen schaden dem Ansehen von Amt und Person auch auf Bundesebene - und sie mehren sich. Als es im Bezirksparlament um den geplanten und umstrittenen Bau eines Hostels an der Lehrter Straße ging, sagte Gothe zunächst öffentlich, die Genehmigung sei ohnehin schon erteilt. Später korrigierte er sich, sagt, seine Aussage sei missverständlich gewesen. Die Anwohner liefen da längst Sturm.
Die fraktionsübergreifenden Beschwerden von BVV-Mitgliedern erklärt Gothe mit dem Arbeitsvolumen in dem zentralen und stadtprägenden Bezirk. "Das liegt an der Fülle der Aufträge." Es klingt nicht so, als käme die Kritik wirklich an ihn heran. "Ein Baustadtrat in Mitte ist eben etwas anderes als ein Baustadtrat in Steglitz-Zehlendorf."
In der Tat sind Gothes Arbeitstage lang. Stadtentwicklungspolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Für den zuständigen Stadtrat bedeutet das ständige Ausschussitzungen zu verschiedenen Themen. Gothe äußert sich zur Parkraumbewirtschaftung in der Dorotheenstadt, zum geplanten Hostel in der Lehrter Straße und hört sich abends den Bürgerprotest gegen ein paar Häuser am Engelbecken an.
Wenn es um ein Bauprojekt in Mitte geht, sitzt der Stadtrat auch im Baukollegium, dem Expertengremium für die architektonische Entwicklung Berlins. Das sei ihm eine Herzensangelegenheit, bekennt Gothe. Die Kritik, dass er sich lieber in die Schöngeisterei des Kollegiums vertiefe, anstatt im Bezirk die Hausaufgaben ordentlich zu machen, wehrt er ab: Er sitze ja nicht ständig in dem Gremium, sondern nur, wenn es Mitte betreffe. Er streitet aber nicht ab, dass ihm die Auseinandersetzung mit Architektur Freude mache, die er sich nicht nehmen lassen will.
Ephraim Gothe kam im baden-württembergischen Lörrach auf die Welt, das Abitur machte er in Lübeck, in München studierte er Bauingenieurwesen. Seine Abschlussarbeit verfasste er zu "Strömungsvorgängen in großen Behältern". Eigentlich hatte er schon seine Doktorandenstelle, wollte Pflanzenkläranlagen in Brandenburg entwickeln, da wurde ihm ein Referendariat beim Senat angeboten. Fachrichtung Stadtbauwesen, das war neu für Gothe. Er sagte zu. "Die Mauer war gerade gefallen, es war unglaublich spannend, was in Berlin passiert ist", sagt der 44-Jährige.
Naiv, unbedarft, sprunghaft - solche Attribute hört man, wenn die Sprache auf den Stadtrat kommt. Bei der Eröffnungspressekonferenz für den Neubau "Upper Eastside" an der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden sitzt er mit Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auf dem Podium, tuschelt immer wieder mit der Kollegin. Als der Investor über die speziellen Öffnungssysteme der mannshohen Fenster spricht, steht Gothe auf, geht zu einem Fenster und probiert den Mechanismus kurzerhand aus. Es gelingt, das Fenster bewegt sich. Über Gothes Gesicht zieht sich ein Grinsen, zufrieden und still setzt er sich wieder auf seinen Platz.
Ungeachtet solcher Anekdoten ist die fachliche Qualifikationen Gothes unumstritten. Nach seiner Zeit als Stadtplaner in der Senatsverwaltung war er sechs Jahre lang persönlicher Referent des damaligen Senatsbaudirektors von Berlin, Hans Stimmann. "Mini-Stimmann" wird er zwar genannt, und das ist nicht nett gemeint: Die Stadtgestaltung Stimmanns, des autokratischen Verfechters der "kritischen Rekonstruktion" und seiner "Berlinischen Architektur", war stets umstritten.
Dass Gothe sich aber im Fach auskennt, daran zweifeln auch die politischen Gegner nicht. "Der kann schon was, er trifft nicht immer die falschen Entscheidungen", sagt ein Beobachter. "Teilweise ist das einfach ein Vermittlungsproblem." Es beschleiche Bezirkspolitiker zudem der Eindruck, dass Gothe die Unterlagen nicht selbst anschaut, sondern seiner Verwaltung große Handlungsfreiheit lässt - und dadurch von manchem Schriftwechsel erst erfährt, wenn wieder ein Skandälchen im Bezirk für Furore sorgt.
Überhaupt die Verwaltung, in der müsste er mal kräftig aufräumen, heißt es. Gothe hat es in seinem Amt mit Persönlichkeiten wie dem Leiter des Grünflächenamts, Harald Büttner, und der Leiterin des Stadtplanungsamts, Kristina Laduch, zu tun - zwei langjährige Verwaltungsarbeiter, die sich längst als Obere ihrer Imperien sehen und gerne ihr eigenes Ding drehen. Gothe weicht auf Nachfrage aus. Bei so einem Bezirk brauche es Persönlichkeiten auf solchen Schlüsselposten, sagt er nur. Querulanten in den eigenen Reihen sieht er nicht. Und wieder verweist er auf die Fülle der Anträge und Termine, auf sein Arbeitspensum.
Er geht zu einer Anwohnerversammlung. Die gut 100 Anwesenden regen sich über die ihrer Meinung nach zu eng beieinander geplanten "Engelhöfe" auf, beschimpfen den Investor und fragen Gothe, wie er so etwas zulassen kann. Der hört interessiert zu, antwortet geduldig. Zwei Stunden lang - obwohl ihm bei dem Projekt die Hände gebunden sind, weil die Bauordnung den Investorplänen nun einmal nicht widerspricht. Das war von vornherein klar.
Spaß mache ihm die Stelle auch noch, sagt er. Trotz des Pensums. Die Herausforderungen sieht er weniger im Politischen als im Privaten. Er hat zwei Kinder, die ihn während der Woche selten zu Gesicht bekommen. "Wenn ich mal früher nach Hause komme, sagen sie: Papa, was machst du denn schon da?". Ein Spagat. Das eigentlich obligatorische Bier in der Kneipe nach den BVV-Sitzungen lehnt der Stadtrat in der Regel ab - auch wenn sich auf diesem Weg das eine oder andere Vermittlungsproblem lösen ließe. Lieber radelt er nach Hause. "Da fällt man aus Netzwerken heraus", bekennt er. "Aber das ist dann halt so."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag