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Archiv-Artikel

Porträt des Künstlers als junger Provinzmensch

FREUNDSCHAFT Marc Degens erzählt über Junggenies in Zeiten der Ich-AGs: „Das kaputte Knie Gottes“

Ein angehender Bildhauer, ein angehender Schriftsteller – einer wird Karriere machen und nach Berlin gehen

VON JOCHEN SCHIMMANG

Eigentlich hätte dieser Roman den Deutschen Buchpreis gewinnen müssen, aber er stand ja nicht einmal auf der Longlist. Aus gutem Grund, denn in Marc Degens’ dritter Erkundung des deutschen Kulturbetriebs (nach „Hier keine Kunst“ und „Unsere Popmoderne“) wird unter anderem vorgeführt, wie junge Genies gemacht werden. Die Mitglieder von Preisjurys möchten aber lieber selbst junge Genies machen und lassen sich dabei ungern in die Karten schauen.

Dennis und Mark, angehender Bildhauer der eine und angehender Schriftsteller oder aber Lehrer der andere (schließlich wird es das Zweite), haben – unter karrierestrategischen Aspekten – das Pech, im Ruhrgebiet aufzuwachsen. Das war schon früher, als wir noch nicht ein Volk waren, kulturell ein Randgebiet, und man musste es von dort wenigstens bis nach Düsseldorf oder Köln schaffen. Das ist bis heute so geblieben, Kulturhauptstadt 2010 hin oder her, und heute sollte man es möglichst bis nach Berlin schaffen.

Dennis, der aus sehr einfachem Haus kommt, wird es schließlich auch bis dahin schaffen, aber es ist ein steiniger Weg. Besser sollte ich sagen: eine Betonpiste, denn Dennis’ Leidenschaft gilt der Darstellung von Gliedmaßen in Beton, nicht handlich-possierlich, sondern in großen, ja gigantischen Maßen. Drei- bis vierhundert Kilo wiegen seine Skulpturen. Das schreckt die Galerien ebenso ab wie private Käufer. Erst als Dennis mit Hilfe seines Freundes eine Anzeige aufgibt, dass er „kostengünst., monument., realist. Plastiken (Arme, Beine, sonst. Gliedmaßen)“ zu verkaufen habe, meldet sich ein Interessent, der sich trotz seines proletarischen Auftretens als ausgesprochener Kunstkenner erweist und sich außer mit „Düschamps“ auch mit Gottesbeweisen auskennt. Dementsprechend ist er auch von der Skulptur „Das kaputte Knie Gottes“ begeistert und legt 2.000 Euro dafür auf den Tisch. Das ist der Beginn einer traumhaften Bildhauerkarriere, die allerdings noch einige holprige Zwischenstationen braucht. Selbst das Fernsehen, wenn auch wie so oft eher aus Un- und Missverständnis heraus, hilft dabei, Dennis zum jungen Genie zu machen, und schließlich nimmt sich eine Galeristin seiner an und entführt ihn nach Berlin. Dort endet der Roman (fast) in einem Club, der – unschwer erkennbar – dem Berghain nachgebildet ist. Schließlich ist Marc Degens in einem anderen Leben ja auch der Verleger von Airens „Strobo“.

Der Erfolg des einen der beiden Freunde ist das Ende der Freundschaft, oder besser der Beginn der Entfremdung. Degens’ Roman ist nämlich im Hauptstrang keineswegs die krasse Satire, als die manche ihn lesen mögen. Er ist vor allem ein durchaus melancholisches Porträt des Zerfalls von Beziehungen im Zeitalter (künstlerischer) Ich-AGs. Denn das Personal dieses Buches ist doch um einiges reichhaltiger, als bisher erwähnt wurde. Es gibt Lily, die Salonkommunistin und spätere Führungskraft in einer Unternehmensberatung, und es gibt Erik, der in verschiedenen Bands spielt und außerdem Aktionskunst macht, die Dennis „irgendwo zwischen Fluxus und Food Art“ ansiedelt. Und neben Mark, der sich dann doch lieber für den Lehrerberuf entscheidet, gibt es bald auch Katharina, die ebenfalls Lehrerin wird.

Dass diese beiden sich nicht nur finden, sondern auch zusammenbleiben – selbstverständlich im Ruhrgebiet –, ist gleichsam die „spießige“ Schiene des Buches. Aber es ist auch die, die am Schluss am stärksten leuchtet, während wir uns Dennis durchaus als einen unglücklichen Menschen vorstellen können.

„Unsere Freundschaft ist nun Geschichte“, notiert Mark am Ende elegisch, „womöglich sind wir zwei wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Während Dennis den Mississippi erkundet und am Straßenrand in Berlin, Paris oder Tokio Currywürste isst, bleibe ich daheim bei Tante Polly. Dabei hätte ich wetten können, dass ich Huckleberry Finn bin.“

In diesem Roman finden sich Sätze, wie man sie in der deutschen Literatur noch nicht gelesen hat. Zum Beispiel: „Trotzdem machte ich mich sogleich auf den Weg und fuhr nach Wattenscheid.“ Oder: „Nach dem Abitur studierte Sandra in Duisburg Grundschulpädagogik, später heiratete sie einen Chiropraktiker.“ Lacht da jemand? Was ist so komisch an Grundschullehrerinnen und Chiropraktikern? Und warum lacht keiner über diesen Satz aus einem anderen deutschen Roman: „Er hatte Philosophie, Vergleichende Literaturwissenschaft, Religionswissenschaften, Soziologie und Romanistik studiert, und das in Berlin, Heidelberg, Tübingen und Paris.“ Warum hat das mehr Gewicht als Grundschulpädagogik in Duisburg?

Jupp, der Mann mit „Düschamps“ und den Gottesbeweisen, der Dennis’ Karriere durch seinen Kauf einer Skulptur so entscheidend fördert, sagt bei seinem Besuch im Atelier: „Kunst verstehen heißt sie kaufen.“ Das gilt uneingeschränkt auch für diesen Roman.

Marc Degens: „Das kaputte Knie Gottes“. Knaus Verlag, München 2011. 253 Seiten, 17,99 Euro