Porträt Christian Berkel: Glatze von Welt
Vor kurzem rauchte Berkel noch wie Helmut Schmidt in "Mogadischu" oder spielte bei Tarantinos "Inglourious Basterds" mit. Seine Heimat aber bleibt "Der Kriminalist" im ZDF (Fr., 20.15 Uhr).
Dass Helmut Schmidt qualmt wie ein Schlot, immer und überall, ist mittlerweile ja wohl hinlänglich bekannt - nur wie er seine Mentholzigaretten raucht, darüber hat sich wohl niemand so viele Gedanken gemacht wie Christian Berkel.
Der Schauspieler verkörperte den Exbundeskanzler schon zweimal - in den Teamworx-Eventfilmen "Die Sturmflut" und "Mogadischu" - und war fasziniert davon, "dass jemand, der so irrsinnig diszipliniert wirkt, drei so auffällige Schwächen hat wie Rauchen, Schnupfen und Colatrinken - was er ja alles so exzessiv tut, dass man eindeutig von Sucht sprechen kann".
Berkel behauptet, man könne beim Rauchen regelrecht sehen, wie Schmidt mit sich kämpft. "Den ersten Rauch stößt er erst mal gleich aus, dann lässt er einen Teil durch die Nase reinwandern, und wirklich nur das letzte Stückchen inhaliert er", hat Berkel beobachtet. "Das heißt, er hat bewusst oder unbewusst eine Technik entwickelt, zu rauchen, viel zu rauchen, das aber bitte so wenig schädlich wie möglich, also in die Disziplinlosigkeit die Disziplin eingebaut."
Auch wenn für die Besetzung wohl vor allem die optische Ähnlichkeit ausschlaggebend war, konnte es sicherlich auch nicht schaden, dass Berkel sich mit Schmidt ganz gut identifizieren kann. "Menschen, die so diszipliniert sind, tragen immer etwas in sich, das diszipliniert werden muss. Das kenne ich von mir selbst. Ich wurde auch nicht diszipliniert geboren", sagt der 51-Jährige, der den Schlendrian mit viel Arbeit bekämpft. Gerade ist er wieder als LKA-Ermittler Bruno Schumann in der ZDF-Serie "Der Kriminalist" zu sehen. Ansonsten sammelt Berkel Regiestars: Nachdem er als junger Mann schon mit Ingmar Bergman drehte, hat er seit "Der Untergang" (2004) mit Paul Verhoeven, Spike Lee, Bryan Singer und - als wäre das nicht schon genug - zuletzt mit Quentin Tarantino gearbeitet. "Die letzte Zeit war in dieser Hinsicht sehr aufregend", sagt Berkel lakonisch.
In Tarantinos "Inglourious Basterds", der gerade in Cannes Weltpremiere feierte, spielt Berkel, Sohn einer jüdischen Mutter, ausnahmsweise mal keinen Nazi in Uniform, sondern einen Franzosen - ein echter Fortschritt und für Berkel ein Klacks, da der gebürtige Berliner zweisprachig aufwuchs und als Jugendlicher einige Jahre in Paris lebte. An Tarantino hat Berkel dessen Mut beeindruckt, "die Geschichte des Dritten Reiches enorm frei" anzufassen, ein vergleichbares Drehbuch habe er noch nie gelesen: "Man hat immer das Gefühl, Tarantino fängt da an, wo andere aufhören und dann geht er noch drei Schritte weiter."
Das lässt sich über "Der Kriminalist" nicht unbedingt sagen und doch ist die Serie für Berkel zu einer Homebase geworden, an der er - Hollywood hin oder her - erst mal festhalten möchte. Noch bis nächsten Freitag läuft die dritte Staffel, die vierte wird gerade gedreht. "Es gehört zum Reiz einer Serie, dass man die Figur Stückchen für Stückchen entblättern kann", sagt Berkel, dem es wichtig war, eine Figur zu schaffen, "die sich nicht so ranschmeißt, sondern sich eher zurücknimmt und ohne ewig viele verschiedene Privatstränge auskommt" - eine in aktuellen Krimireihen nicht gerade weit verbreitete puristische Haltung.
Purismus ist ein gutes Stichwort, denn in jedem Text über Christian Berkel kommt (neben Frau und Kollegin Andrea Sawatzki) seine Glatze vor - so auch in diesem. "Die Glatze war meine Entscheidung, aus der Not eine Tugend zu machen", sagt Berkel. "Als absehbar war, dass meine Haare mir nicht lange erhalten bleiben würden, habe ich mir geschworen: Was auch immer in meinem Leben passiert: Ich werde nie mein Resthaar über den Kopf kämmen - höchstens für eine Rolle."
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