: Populäre Pöbelpolitik
Die Maßnahmen der kommenden Regierung aus Union und SPD werden hart ausfallen. Da hilft vielen Akteuren nur eines: noch härtere politische Ressentiments. Ein Abgleich mit der Wirklichkeit
VON BARBARA DRIBBUSCH
Eine „Reichensteuer“ wird diskutiert, junge Arbeitslose will man durch „Korrekturen an Hartz IV“ wieder ins Elternhaus verbannen, und RentnerInnen sollen durch Nullrunden ein bisschen darben – die Politik der nächsten Regierung aus Union und SPD wird hart sein, so zeigten es die Koalitionsverhandlungen. Passend dazu hält sich hartnäckig ein medialer Bilderbogen an aktuellen Ressentiments – hier ein Update:
1. „Arbeitslose sind zu verwöhnt“
Ist immer dann populär, wenn die Bedingungen auf dem Jobmarkt besonders mies sind. Also jetzt.
Bilder: Klassisch ist der arbeitslose Bauhandwerker jüngeren Alters, der sich darüber freut, ins Fernsehen zu kommen, und sich vor die laufende Kamera stellt und erzählt, dass sich ein Vollzeitjob heute „doch nicht mehr lohnt“. „Da mach ich lieber was nebenbei.“ Jeder kennt auch die Erfahrung am frühen Nachmittag wochentags bei Aldi. Diese vielen Männer im mittleren Alter, die man da sieht: Sind doch nicht alles Nachtschichtarbeiter! Verprassen die hier ihr ALG II? Eine immer aktuelle Frage.
Wirklichkeitsfaktor: Die Zahl der Schwarzarbeiter hat nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren abgenommen. Der Anteil von Sozialmissbrauch unter den Arbeitslosen ist nicht nachweisbar gestiegen.
2. „Kinder reicher Eltern kassieren Arbeitslosengeld II“
Ist neu auf der Ressentimentliste, seit die Sozialhilfe mit dem Unterhaltsrückgriff für die Eltern erwachsener Kinder abgeschafft wurde.
Bilder: Gibt es leider wenig, denn selbst TV-Teams ist es kaum gelungen, die jungen betrügerischen Elemente vor die Kamera zu zerren. In Talkshows wurde von politischen Vertretern jedoch kräftig gegen diese Spezies gewettert.
Wirklichkeitsfaktor: Obwohl es keine genaue Zahlen gibt, will die kommende Regierung durchgreifen: Arbeitslose unter 25 Jahren sollen künftig die Erlaubnis vom Jobcenter einholen müssen, um von zu Hause ausziehen zu dürfen. Wenn die Eltern selbst einigermaßen verdienen, sollen sie zudem ihrem arbeitslosen Nachwuchs weiter Unterhalt zahlen.
3. „RentnerInnen haben es zu gut“
Das Ressentiment haben vor allem Jüngere, sie trauen sich aber nicht, es laut auszusprechen, obwohl sie die Renten gern mal ordentlich kürzen würden.
Bilder: Artikel im Spiegel über junge Alte zeigen meist braun gebrannte, turnende Rentnerinnen auf Mallorca, in geblümten Badeanzügen und mit Bäuchen und faltigen Gesichtern. Dies signalisiert manchem beitragszahlenden jüngeren – männlichen – Betrachter: Hier verbraten überflüssige Menschen teures Geld aus den Sozialkassen, während junge, reproduktionsfähige BürgerInnen knapsen.
Wirklichkeitsfaktor: Im Vergleich zu den Jüngeren bekommen die Älteren tatsächlich eine bessere Rendite auf ihre Renteneinzahlungen. Aber Nullrunden senken auch die Kaufkraft der Renten. Und übrigens: Nach Mallorca fahren ist Billigurlaub!
4. „Millionäre sollen mehr zahlen“
Ein allgemein in der Öffentlichkeit erlaubtes Ressentiment, schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass man gerade einem Millionär gegenübersitzt, statistisch gering.
Bilder: Beliebt zur Illustrierung sind Feature-Fotos von breit behüteten Damen in Pelzen, die an irgendwelchen Galopprennbahnen stehen und Sektgläser schwenken. Auch schlossähnliche Anwesen gehören zum Begriff „Millionär“.
Wirklichkeitsfaktor: Es reicht leider nicht, nur bei Gloria von Thurn und Taxis ein paar Milliönchen abzugreifen – diese Abgaben sind begrenzt, will man nicht den Enteignungstatbestand herbeiführen und damit den Kapitalismus abschaffen. Um nennenswerte Erträge zu erzielen, müsste man auch tief in die Mittelschichten eingreifen. Doch wohlhabende Mittelschicht will keiner sein.
Schon bei der Besteuerung eines ererbten Häuschens streiten sich die Schwaben mit dem Rest der Republik, dass man doch bei den hohen Immobilienpreisen in Stuttgart nun wirklich nicht schon ein 500.000-Euro-Häuschen belasten dürfe. Und auch bei der „Reichensteuer“ wurde darüber disputiert, ob schon jemand mit 130.000 Euro Jahreseinkommen zu den wirklich „starken Schultern“ zählt oder dies erst auf Leute ab 250.000 Euro zutrifft.
5. „Spekulanten soll man mehr von ihren Aktiengewinnen abnehmen“
Dieses Ressentiment war zu Zeiten der New Economy sehr beliebt, doch in letzter Zeit ist es darum etwas ruhiger geworden.
Bilder: Steil nach oben weisende DAX-Kurven und junge Börsenmakler mit Primanergesichtern, die aussahen, als hätten sie noch nie in ihrem Leben „richtig gearbeitet“ – das waren die ungerechtfertigten Gewinner. Bis die New Economy einbrach.
Wirklichkeitsfaktor: Die einjährige Spekulationsfrist, außerhalb deren die Gewinne aus Aktien- oder Immobiliengeschäften steuerfrei sind, soll laut Union und SPD nun abgeschafft und eine Art Mindestbesteuerung für all diese Transaktionen eingeführt werden. Doch interessanterweise hebt jetzt kein Jubelgeschrei der Spekulantengegner an. Was eindeutig dafür spricht, dass auch Ressentiments offenbar an politischer Aktualität verlieren.