Polschmelze stärker als erwartet: Eisfreie Ostsee

Binnen einem Jahr sind 15 Prozent des Nordpol-Eises verschwunden, die Ostsee ist so eisfrei wie nie. "Eine völlig verrückte Entwicklung", sagt ein dänische Klimaforscher.

Wenig Eis, imHafen von Ahrenshoop am Saaler Bodden. Bild: dpa

STOCKHOLM taz Das Eis rund um den Nordpol verschwindet wesentlich schneller als selbst von den skeptischsten Prognosen vorhergesagt. Binnen einem Jahr ist ein Viertel des Eises in dieser Region verschwunden. Dies konstatiert jetzt das dänische Meteorologische Institut (DMI) aufgrund des Vergleichs von Satellitenaufnahmen von Anfang Februar und einem Vergleich mit entsprechenden Aufnahmen der letzten Jahre.

Das sei "eine völlig verrückte Entwicklung, die niemand vorhersagen konnte", konstatiert Rasmus Tonboe von DMI. Zwei Erklärungen kämen in Frage: Einerseits habe sich der allgemeine Temperaturanstieg im Nordpolargebiet stark beschleunigt. Andererseits sei eine Änderung der Meeresströmung zu beobachten: Diese habe dazu geführt, dass große Teile des nordpolaren Eises in die Zone zwischen Grönland und Kanada getrieben worden sind. Dort herrscht deshalb derzeit einer der strengsten Eiswinter seit Jahren. Der Ursprung dieser Strömungsänderung ist unklar.

Im vergangenen Sommer hatte das Nordpolareis mit 4,13 Millionen Quadratkilometern die geringste Ausdehnung in moderner Zeit. Der vorherige durchschnittliche Mittelwert hatte 6,74 Millionen Quadratkilometer betragen. Bislang waren die dramatischsten Prognosen davon ausgegangen, dass der Nordpol bis zum Jahre 2040 gänzlich eisfrei sein würde. "So lange wird das nicht mehr dauern", urteilt nun Eigil Kaas, Professor an der Universität Kopenhagen: "Diese Entwicklung wird ja nicht einfach wieder aufhören." Auch das Eis, das die Satellitenbilder jetzt im Dreieck zwischen der Beringstraße, Sibirien und dem Nordpol zeigten, sei nicht das übliche - mehr als vier Meter dicke - "Polareis", sondern "Wintereis", das sich erst in diesem Winter gebildet habe. Meist sei es dünner als 2 Meter. Laut DMI dürfte es das erste Mal in neuerer Zeit sein, dass der Nordpol selbst zu dieser Jahreszeit nur von solchem "Wintereis" bedeckt ist.

Auch die Ostsee ist in diesem Winter so eisfrei wie seit den Achtzigerjahren nicht mehr. Ist das Meer ansonsten um diese Jahreszeit nördlich von Stockholm und im Finnischen Meerbusen eisbedeckt, findet man derzeit eine geschlossene Eisdecke nur an ihrem nördlichen Ende vor den Küsten Finnlands und Schwedens und im Osten vor St. Petersburg. Die Eisbrecher sind arbeitslos, und der Ausfall des "Kühlschranks" Ostsee hat zu einem der mildesten Winter in Skandinavien und dem Baltikum geführt. In Südschweden blühen die Krokusse, und in Zeitungen berichten Spaziergänger von ersten frisch gewachsenen Pfifferlingen.

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