Polizeiaffäre: Ordnungshüter drehen durch
Bereitschaftspolizisten aus Sachsen-Anhalt randalierten in ihrem noblen Nachtquartier. Polizeipräsident entsetzt. Einsatz als "Betriebsausflug" missverstanden.
Peinlicher Zwischenfall bei der Polizei: Nach einem Demo-Einsatz am vergangenen Samstag hat eine Hundertschaft aus Sachsen-Anhalt in ihrem noblen-Quartier im Vier-Sterne-Hotel Steigenberger-Treudelberg ein Saufgelage veranstaltet. Gäste beschwerten sich bei der Hotelleitung. "Den Vorfall können wir bestätigten", sagt Polizeisprecherin Ulrike Sweden.
Die Einheit war tagsüber zur Verstärkung der Hamburger Polizei bei der Anti-Repressions-Demonstration in St. Pauli und in der Schanze eingesetzt. Um 23 Uhr wurden die 100 Beamten von der Polizeiführung aus dem Einsatz entlassen. Sie waren nicht in Rufbereitschaft versetzt worden, mussten also nicht auf Abruf einsatzbereit sein. "Die hatten ihr volles Tagespensum absolviert, und wenn es möglich ist, ist irgendwann genug", sagt Sweden.
Während im Schanzenviertel plötzlich Krawalle ausbrachen und Polizisten mit Flaschen beworfen wurden, herrschte im noblen Golfhotel Steigenberger unter den Bereitschaftspolizisten Party-Stimmung. Die Beamten seien grölend und Bier trinkend durch die Flure getorkelt, hätten eine Hochzeitsgesellschaft gestört und Hotelangestellte angepöbelt, schildert eine Augenzeugin dem Abendblatt die Situation. "Bis in den frühen Morgen störten die stark angetrunkenen Polizeibeamten die Gäste durch Lärmbelästigung."
Im Vier-Sterne-Hotel Steigenberger zahlte die Polizei einen Spezialpreis von 99 Euro pro Mann, die Autos durften umsonst untergestellt werden. Auch in Hamburg ist es eine Herausforderung, 100 Mann samt Autos in einem Haus unterzubringen. Mit rechtzeitiger Reservierung wären aber Alternativen denkbar gewesen:
Im Drei-Sterne-Haus Panorama Inn in Billstedt wären die Einsatzkräfte für weniger als die Hälfte untergekommen. 40 Euro pro Polizist und 4,50 Euro pro Transportbus hätte das Hotel verlangt.
Etwas weiter draußen in Bergedorf hätten die Beamten zu einem ähnlichen Preis im Vier-Sterne-Hotel Ramada nächtigen können.
Dass die Beamten sozusagen von der Polizeiführung am Abend in die Freizeit entlassen worden waren, hatte einen Kostenaspekt. Wenn die Polizisten keinen Bereitschaftsdienst mehr haben, muss die Hamburger Polizei nicht den vollen Vergütungssatz wie bei einem Einsatz zahlen. "Das heißt aber nicht, dass man sich besäuft", kritisiert Polizeisprecherin Sweden. Gegen ein Bier sei nichts einzuwenden, sagt sie. "Das ist aber kein Betriebsausflug - schließlich werden sie von Hamburg bezahlt." Auch wenn sich die Beamten nicht regulär in Bereitschaft befunden haben, hätte sich die Schanzenviertel-Randale ausgeweitet, hätte die Hundertschaft jederzeit wieder herangezogen werden können. "Ein Einsatz wäre hier schwierig geworden", sagt Sweden.
Polizeipräsident Werner Jantosch ist über das Trinkgelage entsetzt. "Der Magdeburger Polizeidirektor hat sich bereits in einem Brief für das peinliche Verhalten der Beamten entschuldigt", äußerte sich der Sprecher des Innenministeriums Sachsen-Anhalts, Martin Kremps. "Es wird ein Disziplinarverfahren geprüft und gegebenenfalls eingeleitet."
Dass auswärtige Polizeikräfte bei Einsätzen in Hotels übernachten, ist nicht neu, sagt Sweden. Die Innenminister seien überein gekommen, dass es unzumutbar sei, dass die Beamten auf Matratzen in Schulen und Kasernen übernachten. Dabei muss es nicht unbedingt ein Steigenberger sein. "Entscheidend ist, dass ein Hotel auf einen Schlag 100 Beamte aufnehmen kann", sagte Sweden, "und auch die Fahrzeuge adäquat untergestellt werden können."
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