Politologe Leggewie zu den US-Vorwahlen: "Clinton kann Tiefschläge verdauen"
Natürlich können eine Frau oder ein Schwarzer US-Präsident werden, meint der Politologe Claus Leggewie. Denn die USA erfinden sich immer wieder neu.
taz: Herr Leggewie, Hillary Clinton hat nur den dritten Platz unter den demokratischen Kandidaten erreicht. Ist das überraschend?
Claus Leggewie: Sie sah über Monate wie die Gewinnerin aus, als die unvermeidbare und einzig wählbare Kandidatin. In den letzten Wochen hat Obama nicht nur als neuer Kennedy allgemeine Sympathien eingeheimst, sondern auch demokratische Wähler und vor allem Wählerinnen mobilisiert. Er setzt die Hoffnung der jüngeren Generation über die Erfahrung der Clinton-Ära.
Warum hat Clinton so schlecht abgeschnitten?
Sie gilt vielen als kalt, berechnend, maschinenhaft, mit dem Gepäck früherer Kulturkämpfe belastet. Eine "nur" als kompetent und unvermeidbar eingestufte Kandidatin ist eben selten auch herzerwärmend. Vielleicht ist sie auch zu früh Frontrunner geworden.
Hat sie damit alle Chancen verloren?
Keinesfalls! Vielmehr spricht immer noch fast alles für sie: Sie hat das demokratische Establishment ebenso auf ihrer Seite wie die Interessengruppen und die Mehrheit der Schwarzen, in nationalen Umfragen wird sie ihren Vorsprung bewahren, sie hat das meiste Geld. Und sie kann Tief- und Rückschläge verdauen und lange Wege gehen.
Wann wird entschieden, wer Kandidat der Demokraten wird?
Das kann relativ lange dauern, vor allem, wenn John Edwards als Dritter im Bunde im Rennen bleiben sollte und auch nicht feststeht, gegen wen Hillary Clinton im November antreten muss: Gegen Rudy Giuliani hätte sie es schwer, Obama kommt bei Unentschiedenen, Unabhängigen und moderaten Republikanern besser an. Sie mag unvermeidbar sein, er ist wählbarer, gerade in den swing states und bei gemäßigten Evangelikalen. Wenn Clinton in New Hampshire verlöre, würde es schon sehr schwer. Übrigens muss man noch mit dem New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg rechnen, wenn Giuliani sich in Florida nicht durchsetzen kann.
Entscheidet am Ende nicht, wer organisatorisch und finanziell am besten aufgestellt ist, und spricht das nicht für Hillary Clinton?
Könnte man eine Präsidentschaft kaufen und durch eine textbook campaign erringen, hätte sie schon gewonnen. Es hängt alles davon ab, auch gegen Giuliani, wie stark die Amerikaner eine neue Ära wollen und von der politischen Polarisierung von Bill Clinton bis Bush jr. die Nase voll haben. Dann sind Obama und eventuell sogar Huckabee absolut ernsthafte Herausforderer.
Hat eine Frau oder ein Schwarzer wie Obama überhaupt Chancen, tatsächlich Präsident der USA zu werden?
Natürlich, und das zeigt, wie erfreulich sich die USA verändert haben und sich immer wieder neu erfinden können!
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER
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