piwik no script img

Politisches LebenPolitiker drängen auf die Straße

Egal ob beim Karneval der Kulturen oder am 1. Mai: Berlins Politprominenz feiert kräftig mit, zumeist ohne Bodyguard. Auch der Innensenator geht gern unter Leute

Der Berliner Senat - ohne Bodyguards Bild: Reuters

Hunderttausende waren am Sonntag beim Karneval der Kulturen auf den Straßen - haben bei traumhaftem Wetter getanzt, geschwitzt oder einfach nur zugeschaut. Mit von der Partie: die Senatorin für Arbeit, Soziales und Integration, Heidi Knake-Werner (Linkspartei). In weißer Jeans und Polohemd schob sie sich durch die Menge. "Das schätze ich so an Berlin. Als Politiker kann man sich auch im Getümmel absolut frei bewegen", schwärmt sie. "Die Leute winken einem zu. Sie finden das ganz normal."

Die 65-jährige Senatorin mischt sich gern unters Volk. Auch auf dem Kreuzberger Myfest war sie. Das Gesicht hinter einer Sonnenbrille zu verbergen, käme ihr nicht in den Sinn. "Ich will mich doch nicht verstecken." Dass sie mit persönlichen Problemen behelligt und in Diskussionen verstrickt wird, sei nicht die Regel, komme aber vor. Das gehöre zu ihrem Selbstverständnis als Politikerin, sagt Knake- Werner. Sie nennt es "Bodenhaftung". So erfahre sie, was die Leute beschäftigt. Negative Erlebnisse im Sinne von Beleidigungen oder tätlichen Angriffen habe sie noch nicht gehabt. "Manchmal werde ich angepflaumt. Damit kann ich leben."

Nicht alle Behördenchefs können sich so locker bewegen wie die Sozialsenatorin. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Innensenator Ehrhart Körting (beide SPD) stehen bei öffentlichen Auftritten ständig unter Polizeischutz. Über Wowereit wird gemunkelt, dass er höchstens mal alleine einkaufen geht. Es dürfe "keine No-go-Areas für Politiker geben", hat Körting unlängst gefordert. Damit meinte er aber weniger sich selbst als Polizeipräsident Dieter Glietsch. Der war abends am Rande der diesjährigen Revolutionären 1.-Mai-Demonstration von Mitgliedern des Schwarzen Blocks erkannt und mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Personenschützer retteten Glietsch in ein zufällig bereitstehendes Polizeiauto. Einen Moment lang drohte die Situation zu eskalieren.

Natürlich müsse sich ein Polizeipräsident vor Ort einen persönlichen Eindruck von der Lage verschaffen, sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte zu dem Vorfall. "Aber es gibt Situationen, in denen man sich dabei besser nicht zeigt." Glietsch habe an dem Abend - anders als üblich - wenig Gespür für die Lage bewiesen und die Arbeit der Polizei mit seinem Auftritt erschwert. Mit No-go-Areas habe das nichts zu tun.

Auch der Innensenator treibt seine Bodyguards manchmal zur Verzweiflung. Körting streift gern abends durch die Stadt. Seit er auch noch Sportsenator ist, testet er nicht nur die Berliner Kneipen, sondern auch die Berliner Bäder. "Jede Woche schwimmt er ein anderes Bad ab", verrät seine Sprecherin. Körting selbst begründet seine Aktivitäten mit einem Lutherzitat: "Man muss dem Volk aufs Maul schauen." Politik machen könne man nicht mit dem Fernrohr vom Schreibtisch aus. "Man muss unter Menschen gehen", so Körting.

Schon im März 2002 verblüffte er mit einer Aktion dieser Art: In der Kreuzberger Emmauskirche setzte er sich vor 250 Menschen, darunter viele Autonome, mit dem Politikwissenschaftler Peter Grottian aufs Podium und diskutierte über eine politische Neugestaltung des 1. Mai. Entgegen dem Rat seiner Bodyguards kam der Senator statt durch eine Seitentür durch den Haupteingang. Wenige Meter vom Rednertisch entfernt bezogen seine Leibwächter breitbeinig und mit Knöpfchen im Ohr Stellung. Ihre Blicke schweiften rastlos durch das Kirchenschiff. Einer umklammerte einen geschlossenen Regenschirm, um Körting vor eventuellen Wurfgeschossen zu beschützen. Doch die Vorsichtsmaßnahme erwies sich als unnötig. Es blieb bei verbalen Attacken und Pfiffen. Kaum vorstellbar, dass sich Körtings Vorgänger, Eckart Werthebach (CDU), so einer Situation ausgesetzt hätte.

Unters Volk mischen, das ist auch das politische Erfolgsrezept des grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele. Wie eh und je schob der 67-Jährige sein Rad auch an diesem 1. Mai durch die Massen und diskutierte mit den Leuten. Ohne direkte Rückmeldung könne er keine Politik machen, sagt Ströbele. Nein, Angst habe er nicht, versichert er.

Angst um den stadtbekannten Politiker hatte an diesem 1. Mai ein ganz anderer: "Herr Ströbele, passen Sie bloß auf sich auf", rief ihm ein Polizist in Kampfmontur zu. Dann gab er sich als jener Beamte zu erkennen, der im Herbst 2002 als Erster am Tatort war, als Ströbele von einem Rechtsextremisten während des Bundestagswahlkampfs auf der Straße mit einer Stahlrute attackiert worden war.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!