Politische Spannungen in Beirut: Zerbrechliche Normalität

Die Wahl eines neuen Präsidenten im Libanon scheitert immer wieder. Politiker sind entnervt, Jugendliche auf der Straße reden vom Bürgerkrieg.

Alltag unter politischer Spannung: Straßenszene in Beirut. Bild: dpa

BEIRUT taz Es ist ein Bild der Harmonie in wenig harmonischen Zeiten. Vor einem Einkaufszentrum im Süden Beiruts sitzen ein Christ, ein Schiit, ein Sunnit und ein Druse, allesamt Verkäufer, die sich die Zeit mit einem Schwätzchen vertreiben. "Wir sind alle befreundet", sagt der Christ Rosche Baqlinih. "Wir lassen uns nicht von den Politikern gegeneinander aufhetzen", fügt er unter beifälligem Nicken der anderen hinzu. Doch als die Rede auf die Wahl des Präsidenten kommt, ist es mit dem freundlichen Schulterschluss vorbei: Es sei die schiitische Opposition, die die Wahl blockiere, schimpft Druse Schadi Sein Eddin. Der Rest geht in einem Schwall gegenseitiger Beschimpfungen unter.

Am Montag ist die Wahl zum libanesischen Präsidenten durch das Parlament zum 14. Mal verschoben worden. Dabei haben im Prinzip beide Lager zugestimmt, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden und Armeechef Michel Suleiman zum Präsidenten zu wählen. Doch der Graben zwischen den beiden politischen Lagern scheint unüberbrückbar: auf der einen Seite die prowestliche Regierung der Sunniten und Christen, auf der anderen das schiitische Oppositionsbündnis, das von Iran und Syrien gesponsert und von der Hisbollah angeführt wird.

Nach dem erneuten Scheitern der Wahl liegen auch bei vielen Politikern die Nerven blank. Drusenführer Walid Dschumblatt von der Regierungskoalition rief am Sonntag seinen politischen Gegnern zu: "Wenn ihr Chaos haben wollte, könnt ihr es haben, wenn ihr Krieg haben wollt, könnt ihr ihn haben." Die Hisbollah antwortete am Montag: "Unsere Geduld ist am Ende. Wir werden euch warnen, bevor wir auf die Straße gehen. Aber dann wird uns nichts mehr aufhalten", sagte Mahmud Qurmati, Vorsitzender des Hisbollah Politrates.

Derweil herrscht in Beirut eine gespenstische Normalität. Die Menschen fahren zur Arbeit, die Läden sind geöffnet. An der Corniche, der Küstenpromenade, ziehen unzählige Jogger ihre Runden, während die winterliche Brandung gegen die Mauern schlägt. Wären da nicht an jeder zweiten Straßenecke die Posten der libanesischen Armee, die sich neuerdings im eigenen Land hinter Sandsäcken versteckt. Mehr als ein Dutzend Mal sind die Soldaten in den vergangenen zwei Wochen beschossen worden. "Die Lage kann jederzeit durch einen Funken explodieren", sagt der libanesische Journalist Hasem Amin von der Tageszeitung al-Hayat.

In der alten Hauptstraße Richtung Sidon, in der südlichen Vorstadt Beiruts, ist die Anspannung mit Händen zu greifen. Die Straße trennt das schiitische Viertel Schijah, Hort der Opposition, von Ain Romaneh, einem vorwiegend christlich-sunnitischen Quartier, das der Regierung nahesteht. Wenige hundert Meter von hier fand vor gut zwei Wochen der "blutige Sonntag" statt: Bei einem Prostest gegen die ständigen Stromausfälle hatte die Armee das Feuer auf oppositionelle Demonstranten eröffnet, angeblich war sie beschossen worden. Elf Menschen kamen ums Leben, mindestens sechs von ihnen durch Kugeln der Armee, wie die Regierung inzwischen meldete. Das Bild der Armee als neutrale Instanz, die das Land zusammenhält, ist angekratzt.

Am Eingang von Schijah sitzt eine Gruppe schiitischer Kids vor dem Haus auf Stühlen und raucht Wasserpfeife. Die Wut kocht hier noch immer hoch nach den Ereignissen des "blutigen Sonntags". "Hätten wir Waffen dabeigehabt, wir hätten zurückgeschossen", sagt der 15-jährige Dschafar Muhammad al-Mussawi. Aber die Verantwortlichen von der Hisbollah hätten sie angewiesen, sich zurückzuhalten. Al-Mussawi möchte nun vor allem eines: seinen Freund rächen, der auf der Demonstration direkt neben ihm erschossen wurde. "Wir werden sie umbringen", kündigt auch der 16-jährige Fadl Muhsen an. "Einer für einen und zehn für zehn". Einen Bürgerkrieg, sagen alle, wollen sie nicht. Aber "die da drüben", auf der anderen Straßenseite, wollten es ja nicht anders.

Dort "drüben" in Ain Romaneh stehen ein paar junge Männer und pfeifen den Mädchen hinterher. Einer von ihnen ist Ralf Schamani, er ist 17, studiert Hotelmanagement. "Wenn die von der anderen Seite versuchen herüberzukommen ", beginnt er und fährt sich mit seiner Hand quer über die Kehle. Am blutigen Sonntag, erzählt er, hätte er seine Schlagringe angezogen und wollte mit Freunden auf die andere Seite ziehen. Nur das Militär habe sie aufgehalten. "Unser Viertel", sagt Schamani stolz, "wurde schon im letzten Bürgerkrieg die 'Festung der Standhaften' genannt."

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