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Politische Kultur der SchuldsucheWird alles böse enden?

Männer sind schuld. Frauen sind schuld. Der Kanzler ist schuld. In dieser Weltlage braucht es keine Schuldigen, sondern eine Veränderung des Denkens.

Der Kanzler ist schuld? Der Vizekanzler ist schuld? Bauernprotest in Berlin am 15. Januar Foto: Stefan Trappe/imago

I ch liste mal in aller Ruhe auf, was demnächst passieren kann: Die AfD wird im Herbst in einem oder mehr kleineren Bundesländern stärkste Partei. Nicht gut, aber schlimmer: Die Wirtschafts- und Klimapolitikerin Ursula von der Leyen bleibt zwar nach der Europawahl EU-Präsidentin, aber um den Preis, dass die europäische Wirtschaftsoffensive (Green Deal) zurückentwickelt und in der Folge auch die deutsche Wirtschaft abgehängt wird. Marine Le Pen wird bei dieser EU-Wahl stärkste Kraft in Frankreich. Noch schlimmer: Putin marschiert auf Kyjiw und ins nächste und dann übernächste Land, aber – Achtung, Ironie – niemals nach Deutschland, als Dank dafür, dass Olaf Scholz den Ukrainern keine Taurus liefert.

Dann wird auch noch Donald Trump wieder US-Präsident, und der Westen als geopolitische und kulturelle Allianz zerbröckelt. Und China, Israel, religiösen Irrsinn und regionale oder globale Terrorunternehmen habe ich noch gar nicht erwähnt. In der Konsequenz wird der Versuch aufgegeben, die Eskalation des Weltklimas und damit auch Fluchtzwänge und Kriege zu begrenzen, Freiheit und Lebensqualität zu erhalten, Aufklärung und Emanzipation weiterzuentwickeln. Also, dafür haben wir nämlich jetzt echt keine Kapazitäten!

Das alles muss und soll nicht geschehen, aber es nützt nichts zu knurren: „Unsinn, das passiert doch nicht“, oder auch: „Ich wusste immer, dass es böse endet“. Beides gehört zum wohlfeilen business as usual, das es zu überwinden gilt. Die Aufgabe lautet jetzt: Handlungsfähigkeit herstellen, damit es eben nicht böse endet.

Sicher erleben wir gerade in Deutschland die Verhärtung des gesellschaftlichen Klimas, auch unakzeptable und gesetzeswidrige Eskalationen. Und vor allem sehen wir die negativen Auswirkungen einer Mediengesellschaft, in der selbst Grottenolme wissen, wie man in eigener Sache auf den Putz haut, um in die Abendnachrichten, die Kommentarspalten und die anderen Aufregungskanäle zu kommen.

wochentaz

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Männer sind schuld, Frauen und der Kanzler

Das geht auf die individuelle und kollektive Psyche. Und weil uns das alles ein bisserl über den Kopf wächst, versuchen wir die Komplexität zu reduzieren und sagen dann, je nach individueller Analyse, Präferenz oder Gehirnwäsche: Die Grünen sind schuld. Die AfD ist schuld. Die FDP ist schuld. Die „Rechten“ sind schuld. Die „Linken“ sind schuld. Die Youknowwho sind schuld. Männer sind schuld. Frauen sind schuld. Der Kanzler ist schuld? Der Vizekanzler ist schuld.

Und damit sind wir bei der entscheidenden Differenzierung: Die Wut auf Robert Habeck speist sich daraus, dass er dafür steht, dass etwas Neues beginnen muss – und es unklar ist, ob das funktionieren wird. Der Ärger über Olaf Scholz folgt daraus, dass das Alte nicht mehr funktioniert, dessen Wirkung er unverdrossen und fälschlich verspricht. Je länger er regiert, desto sicherer ist dieser Befund. Insofern bringt auch die gern beschworene schnelle Neuwahl überhaupt nichts, weil ein CDU-Kanzler nur eine rhetorische Variante des Alten im Angebot hat, die auch nicht funktionieren kann, weil es die dazugehörende Welt nicht mehr gibt, genau wie ihre schöne All-inclusive-Dienstleistungspolitik.

Damit das Land und die EU nicht verloren gehen, braucht es keinen Schuldigen und keine neue Koalition, sondern als Grundlage für alles eine Denk- und Kulturänderung. Das klingt banal, aber das Neue besteht darin, den zentralen Notwendigkeiten nicht mehr auszuweichen, sondern sie – Wirtschaft, Nullemissionen, Verteidigung, Haushalt – angehen zu können. Auch wenn sich daraus neue Probleme und Unsicherheiten ergeben. Jetzt wird man sagen: Wer soll denn das wählen? Na, ich – und Sie!

Wir müssen uns die Zukunft zumuten. Sonst haben wir keine.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Damit das Land und die EU nicht verloren gehen, braucht es keinen Schuldigen und keine neue Koalition, sondern als Grundlage für alles eine Denk- und Kulturänderung."

    Betrachten wir die Problematik mal wie eine Krankheit. Kennt man deren Ursache und verfügt über Mittel dagegen, dann sollte man auch bei der Ursache ansetzen, allerdings nicht mit Dosierungen, die zu unbeherrschbaren Nebenwirkungen führen, und nicht mit "Kombipräparaten", deren zusätzliche "Wirkstoffe" kaum jemand als notwendig erachtet.

    "Wir müssen uns die Zukunft zumuten. Sonst haben wir keine."

    Wenn wir die Gegenwart vermasseln, dann haben wir auch keine Zukunft mehr.

  • Die Schuld im Außen zu suchen, und mit Sicherheit zu finden, ist der neue Volkssport. Politische Methode war das schon immer, schließlich geht es um Macht, da ist die Wahrheit ziemlich wurscht. Nun sind die Probleme jedoch immens gewachsen, und der Autor hat recht: Spielchen können wir uns nicht mehr leisten!