Politische Geschichte des Fußballs: Linkes Rumgekicke
Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt legen ein Buch zur verdrängten und subversiven Bedeutung des Fußballs vor: trotz Schwächen lesenswert.
Frühestens auf Seite 18 mit dem Lesen beginnen! Diesen guten Rat gilt es denjenigen mitzugeben, die dieses Buch aufklappen und lesen wollen. Da steht nämlich etwas drin, das weder dem Titel („Links kickt besser“) noch dem Untertitel („Der Mythos vom unpolitischen Fußball“) zu entnehmen ist. Sondern, trotz aller noch zu entwickelnden Kritik, etwas viel Besseres.
Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt legen die Skizze einer politischen Geschichte des Fußballs vor; sie zeigen, dass schon der Vorläufer des geregelten Elf-gegen-elf-Gekickes, der folk football, von Rebellion gegen die Obrigkeit geprägt war. Sie zeigen die Kämpfe um Anerkennung der frühen, von Arbeitern getragenen Klubs aus dem englischen Norden, und dem wilden Fußball, dem Straßengebolze, sprechen die Autoren eine große politische Kraft zu: „Linke Tugenden fangen häufig beim Kicken an.“
Fußball als großes Geschäft wird behandelt, und die Rolle von Fans wird beleuchtet, die sich mit Kreativität und Militanz der Tendenz zum Investorenfußball entgegenstellen. Ein Kapitel handelt vom Fußball der Frauen, die im folk football noch dabei waren, dann ausgegrenzt wurden, sich bald in eigenen Klubs fanden, die daraufhin verboten und erst spät erlaubt wurden. Es geht um die gesellschaftliche Potenz des Frauenfußballs, die sich etwa im Iran oder in Saudi-Arabien zeigt, wo Frauen um ihr Recht auf Fußball noch kämpfen müssen.
Und linke Fans und Spieler gehören in Storks und Wollenhaupts Geschichte des Fußballs: die kleinen, die beispielsweise in den 1970ern den Fortschrittlichen Schweizer Fussball-Verband (FSFV) gegründet habe, und die großen, die rund um Sócrates mit den Corinthians São Paulo den ersten selbstverwalteten Profiverein der Welt geschaffen hatten – und prompt zweimal die brasilianische Staatsmeisterschaft gewannen.
Klaus-Dieter Stork, Jonas Wollenhaupt:
„Links kickt besser. Der Mythos vom unpolitischen Fußball“.
Westend Verlag, Frankfurt/Main 2022, 240 Seiten, 20 Euro (Buch), 16,99 Euro (E-Book)
Das und noch viel mehr steht in dieser lesenswerten linken Geschichte des Fußballs. Und doch lässt einen die Lektüre leider recht oft etwas ratlos zurück. Es scheint, als misstrauten die Autoren ihrem Material, weshalb sie immer wieder ironisierende Bemerkungen fallen lassen: beispielsweise, dass Karl Marx den FA-Cup-Gewinn der Blackburn Olympic, einen „triumphalen Sieg der Arbeiterklasse“, leider nicht erlebt habe. Das liest sich wie ein „Bitte alles nicht so ernst nehmen“.
Menotti, die NFL und Fußballmetaphern
Ohnehin ist das Buch leider immer gerade dann schwach, wenn es analytisch sein möchte: Da wird mal Catenaccio als eine Form des Klassenkampfs interpretiert, während an anderen Stellen der offensive Kick, den César Luis Menotti, vermutlich der Erfinder des Begriffs „linker Fußball“, spielen ließ, als Quintessenz sozialistischen Sportverständnisses gefeiert. Hier werden die Interpretationen passend gemacht.
Als schwach und harmlos erscheinen auch die vermeintlich radikalen Schlussfolgerungen, die aus der Betrachtung des Fußballs gezogen werden: Wesentlich mehr als die 50+1-Regel anzuwenden, einen Salary Cap wie in der NFL einzuführen und dem DFB eine quotierte Doppelspitze zu verordnen, fällt den Autoren nach ihrem Gang durch die Fußballgeschichte leider nicht ein.
Trotz aller Kritik: ein gutes Buch, wie es im deutschsprachigen Raum selten zu lesen ist. Und doch: Mehr als gut wäre besser gewesen. Und warum sollte man die Einführung nicht lesen? Weil da mit Fußballmetaphern, die witzig sein sollen, nur so um sich geworfen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?