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■ Politiker werden zu Ersatztheologen, die Kirche probt einen Kulturkampf. Zur Debatte nach dem KruzifixurteilJenseits von Mark und Markt

Karlsruhe locuta – causa finita, Karlsruhe hat gesprochen – die Sache ist beendet. Nach diesem gängigen Muster hätte auch mit dem Kruzifixurteil des Bundesverfassungsgerichtes verfahren werden könne. Schade, ein alter Zopf ist gefallen, wäre als Reaktion ebenso vorstellbar gewesen wie die obligaten Widerworte. Doch weit gefehlt. Der im Namen des Volkes ergangene Beschluß des Ersten Senates, der schon vom Mai datiert und dessen Veröffentlichung wohl aus vorsorglichen Gründen in die schulfreie Zeit verlegt wurde, löste Kritik und Besorgnisse aus, die kaum noch mit dem gängigen Begriff „Urteilsschelte“ zu fassen sind. Jüngster Höhepunkt im Kreuzzug des Südens gegen Karlsruhe: CSU-Chef Theo Waigel bezichtigt die Verfassungsrichter, mit ihrem Beschluß die „Abkehr von Gott“ zu befördern.

Welchen Geist hat das Verfassungsgericht mit dem Kruzifixurteil wachgerüttelt, daß Politiker sich zu Ersatztheologen aufwerfen und Kirchenvertreter derart in Rage geraten, daß sie in Tönen, die stark an einen Kulturkampf erinnern, die Mitglieder eines Verfassungsorgans in die Nähe der Nazis rücken? Handelt es sich doch vielfach um dieselben Politker, die vor gar nicht zu langer Zeit ohne viel Federlesens den Buß- und Bettag abschafften, die für die Sonntagsarbeit die Tür öffneten oder gegen Kirchenasyl Front machen.

Auf den ersten Blick läßt sich vermuten, daß neben dem Sommerloch es die Bastion Bayern ist, die für derart überzogene Reaktionen die Folie bietet. Frei nach dem Motto: Cuius regio eius religio, die Religion des Landesherren bestimmt die Religion seiner Untertanen. Ebenso wie Biergärten, Weißwurst, Rautenbanner und Ludwig II. gehört das „Marterl“ zur Identität des Freistaates. Das barocke Grundwasser steht im bayrisch-katholischen Milieu bis heute recht hoch. Nirgendwo sonst ist die Präsenz katholischer Symbole so hoch wie in den katholischen Landstrichen Bayerns. Auch wenn die aktive Beteiligung von bayerischen Katholiken am kirchlichen Leben im Durchschnitt kaum markant höher ausfallen dürfte als etwa in Baden oder in der Eifel, so hat doch die säkularisierte Volksfrömmigkeit in Bayern einen ganz anderen Stellenwert.

Wer an diesen heiligen Kühen rüttelt, weckt den Volkszorn. Und volksnahe Politiker machen sich schlau zu Vorreitern von Volkes Stimme, wenn sie sogleich suggerieren, nun stünden auch Bergkreuze und Glockengeläut zur Disposition. Wohlwissend, daß sich mit Symbolen gut Politik machen läßt. Das Kruzifixurteil bot dafür einen geeigneten Aufhänger, zumal mehrere Entscheidungen des Ersten Senats konservativen Kreisen arg gegen den Strich gehen. Dabei hätten die Politiker eher Anlaß darüber nachzudenken, ob sie mit ihrer Regelungswut, die von oben jedem Klassenzimmer ein Kreuz verordnet, nicht des Guten zu viel getan haben. Warum kann die Entscheidung für oder gegen die Anbringung eines Kreuzes nicht wie andernorts an die Schulen abgetreten werden, wo sie ganz im Sinne von Subsidiarität und Entstaatlichung im Konsens von Eltern, Lehrern und Schülern getroffen werden könnte?

Es bedarf jedoch eines weiteren Erklärungsmusters dafür, daß nach dem Kruzifixurteil die Wogen des Protestes so hoch schlagen. Mit dem Reizwort der multikulturellen Gesellschaft im Hinterkopf mag selbst nach konventionellen Maßstäben weniger Fromme und Kirchenfremde die Sorge beschleichen, das Urteil könnte irgendwelche Weiterungen nach sich ziehen und das tradierte kulturelle Koordinatensystem verschieben. Und es schwingt wohl die Angst mit, die Grenze der Toleranz, die von Minderheiten der Mehrheit abverlangt wird, könnte sich verlagern.

Außerdem fehlen der eher unprätentiösen Bonner Republik – im Unterschied etwa zu England oder Frankreich – die identitätsstiftenden Elemente, Symbole und Rituale. Die immer wieder aufflammende Debatte um die Nation ist ein Indiz für dieses Defizit. Daß es ein Jenseits von Mark und Markt gibt, hinter dem Vorletzten auch letzte Fragen stehen, dies spiegeln trotz aller religiösen Pluralisierung die Kirchen wider. Trotz verbreiteten Unbehagens an der Institution Kirche – Säkularisierung und Privatisierung von Religion sind noch immer mehr als 80 Prozent der Bevölkerung kirchlich gebunden. Und einiges spricht dafür, daß sie religiöse Präsenz und religiöse Symbole nicht missen wollen. Sie leben gut mit dem weltanschaulich neutralen Staat, der in seiner Verfassung auf Gott Bezug nimmt und sich dennoch in Glaubensangelegenheiten abstinent zu verhalten hat. Gleichwohl befürworten sie, daß die Kirche im Dorf bleibt, sie wollen keinen religiös aseptischen Staat. Dieses Dilemma der Grenzziehung zwischen Staat und Kirche, Religion und Politik bleibt auf der Tagesordnung. Auch wenn das Urteil eine ungeahnte Mobilisierung auslöste, der reformierte Theologe Harry M. Kuitert dürfte Recht behalten: „Die christliche Kirche sollte sich über den Symbolwert des Kreuzes nicht mehr zu viele Illusionen machen.“

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