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■ Politikberatung: Was die Deutschen von den Kurden denkenDie Angst vor dem eigenen Vorurteil

Zwei Dritteln der Deutschen machen die Kurden- Krawalle Angst, 86 Prozent sprechen sich für eine Ausweisung gewalttätiger kurdischer Demonstranten aus. Die Zahlen, die das Forschungsinstitut Emnid ermittelte, können kaum erstaunen. Ein Trupp, der wie am Mittwoch vergangener Woche in Berlin ein israelisches Generalkonsulat zu besetzen versucht und auf dem Weg dahin jeden zweiten von drei eingesetzten Polizisten zum Teil schwer verletzt, der muß wohl allen Beobachtern Angst einflößen. Nur: „Die“ Kurden waren es nicht. Und es war auch nicht das erste Mal, daß Anhänger der stalinistisch organisierten kurdischen Arbeiterpartei PKK den Krieg gegen den türkischen Staat in die Großstädte Europas getragen haben – und das gegen den Willen den Mehrheit der Kurden, die in diesen Metropolen leben. Differenzierung und Aufklärung über die Hintergründe der Konflikte wären angesagt, doch das Gegenteil geschieht. Es wird unendlich vereinfacht. „Kurden-Krieg in Deutschland“, so der Tenor in vielen Print- und in den elektronischen Medien.

Kein Wunder also, wenn 77 Prozent der Befragten in Umfragen ein härteres Durchgreifen der Bundesregierung fordern. Es ist ein Akt der medialen self-fullfilling prophecy: Erst wird der Eindruck erweckt, die Kurden wären 600.000 potentielle Krawallmacher, dann wird abgefragt, wer Angst vor diesen hat und wie man mit ihnen verfahren sollte. Die Zahlen wiederum dienen als Beleg für die Stimmung in der Bevölkerung, auf die die Politik, zum Beispiel in der Forderung des Bundesinnenministers Otto Schily nach schnellerer Abschiebung, eingehen müsse.

Es ist ein selbstreferentielles System, das da im scheinbar seriösen wissenschaftlichem Gewand daherkommt. Problematisch sind natürlich die Fragestellungen solcher Umfragen. Was würde wohl die Mehrheit antworten auf die Frage: „Finden Sie es richtig, daß das türkische Militär 3.000 kurdische Dörfer im Südosten der Türkei zerstört hat?“ oder „Halten Sie es für richtig, daß das türkische Militär im Kampf gegen die PKK Waffen aus Deutschland einsetzt?“ Für eine Abschiebung gewalttätiger Demonstranten findet sich in den Umfragen schnell eine Mehrheit. Eine überwältigende sogar, will man den Angaben von Emnid folgen. Aber gäbe es diese Mehrheit auch, wenn der Fragesteller korrekterweise anfügen wollte, daß diese Ausweisung zu Folter und Verschwinden der Abgeschobenen führen kann? Es ist eine Binsenweisheit. Auf falsche Fragen bekommt man falsche Antworten. Wolfgang Gast

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