Politik: Ein bisschen Angst, ein bisschen Populismus
In Thüringen hat die neue Partei gerade gepunktet. Das Bündnis Sahra Wagenknecht erreichte bei der Kommunalwahl in manchen Orten auf Anhieb über zehn Prozent. Nun kam die Namensgeberin nach Stuttgart. Interessant war, was sie nicht erwähnte.
Von Gesa von Leesen
Obwohl just mit dem Eintreffen der ehemaligen Linken-Politikerin Regen und ferner Donner einsetzte, hielten alle durch, sowohl die Rednerin als auch die etwa 800 Zuhörer:innen. Die konnten auf dem Stuttgarter Schlossplatz „eine der beliebtesten, populären Politikerinnen in Deutschland“ erleben, „die für eine unverbiegbare Politikerpersönlichkeit steht“, wie Moderatorin Jessica Tatti schwärmte, frühere Linken- und heutige BSW-Bundestagsabgeordnete aus Reutlingen.
Wagenknecht, die ein paar Stunden vorher noch in Mannheim geredet hatte und nicht ganz pünktlich im schwarzen Audi vorgefahren wird, betritt die Bühne und wird jubelnd empfangen. Allerdings nicht frenetisch. Viele sind offenbar aus Neugierde gekommen, lassen ihre Arme fast die gesamte Zeit über verschränkt. Eine Zuhörerin, Mitte 50, bunte Klamotten, mehrere Ohrringe, fragt: „Wo ist der Fabio?“ Tja, da ist sie zu spät gekommen. Fabio de Masi, auch einst bei der Linken, ist BSW-Spitzenkandidat für die Europawahl und er darf als erster sprechen. Der Finanzexperte hatte sich als Linken-Abgeordneter im EU-Parlament (2014 bis 2017) und im Bundestag (2017 bis 2022) viel Anerkennung erworben für seine hartnäckigen Untersuchungen der Luxemburg-Leaks, der Panama-Papers, des Wirecard-Skandals sowie der Cum-Ex-Affäre inklusive den Erinnerungslücken von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Am besten war‘s früher
In Stuttgart konzentriert sich de Masi auf wachsende soziale Ungleichheit und die aktuelle Regierung, die mit ihrer Sanktionspolitik gegen Russland die Energiekosten in die Höhe treibe, was vor allem ärmere Menschen spüren würden. Der 44-Jährige aus Hamburg wirbt für weniger Rüstungsausgaben und wettert gegen Waffenlieferungen. So wie Wagenknecht später, bedient auch er zunächst die Angst vor dem wirtschaftlichen Untergang: „Die Wirtschaft wird in den Keller gejagt.“ Aber nun gebe es ja eine Kraft dagegen: das Bündnis Sahra Wagenknecht. De Masi verspricht, sich im Europaparlament für die Besteuerung von Google und Co. und gegen Rüstungsexporte einzusetzen.
Und was ist mit der AfD? Also der Partei, von der manche Politikbeobachter:innen glauben, die könnte dem BSW Stimmen abjagen? Wenig. De Masi begründet den Erfolg der AfD mit der falschen Politik der Bundesregierung: geplante Rentenkürzungen, Hochrüstung, das war‘s. Und Migration? Kein Wort.
Genauso wenig wie anschließend bei Thomas Geisel, ebenfalls BSW-Spitzenkandidat fürs Europaparlament. Sechs Jahre lang war Geisel Oberbürgermeister von Düsseldorf, 40 Jahre lang SPD-Mitglied. Auch er thematisiert zunächst Bedrohung: Wer den Eindruck habe, dass Europa gerade wirtschaftlich abgehängt werde, liege gar nicht so falsch. Die Sanktionen gegen Russland schadeten Deutschland mehr als Russland und die EU müsse wieder ein „Projekt für Frieden und Wohlstand“ werden.
Den Inflation Reduction Act der USA, der einheimische Industrie mit Milliarden fördert, nennt Geisel eine „Kriegserklärung an den Industriestandort Europa“. Und er erinnert sich an die SPD seiner jüngeren Tage, als Willy Brandt als Bundeskanzler eine Friedens- und Entspannungspolitik vorangetrieben habe, die in der Wiedervereinigung geendet habe. Die aktuelle Debatte rund um die Ukraine, Aufrüstung und Militarisierung, findet der 60-Jährige „verstörend“. Ja, Putin habe einen Völkerrechtsbruch begangen, doch irgendwann sei der ja weg, aber Russland weiterhin Nachbar, „mit dem uns viel verbindet“. Applaus.
Und dann ist sie da, die namensgebende Politikerin, und führte alles nochmal aus. Nur halt im Wagenknecht-Duktus. „Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich sehe, wie ...“ und dann kommen Fehler der Bundesregierung. Schrumpfende Wirtschaft, hohe Energiekosten, abwandernde Unternehmen. „Weil wir die Moralweltmeister sind“, die vorschreiben wollten, wo man Energie kauft – eben nicht in Russland, aber dafür in Katar, bei „einem islamistischen Diktator“. Was Putin ist, führt sie nicht aus, führt aber Frankreich an, das Flüssiggas aus Russland importiert, und die USA, die russisches Uran für ihre Atomkraftwerke kaufen
Es stimmt oft nur so halb
Womit der Weg zum Klima frei ist. „Ich bin auch für Klimaschutz“, meint sie. Aber auch für fossile Energie. Wagenknecht attackiert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der wollte, dass „wir alle“ Wärmepumpen kauften. So war es zwar nicht, aber hier geht es um Wahlkampf und Triggerworte, die vielleicht bei der Menge ankommen.
Allerdings nicht bei allen. Aus der Zuhörermenge taucht ein Plakat der Spaßpartei „Die Partei“ auf: „Billigen Populismus den Profis überlassen“.
Wärmepumpen, sagt Wagenknecht, wären nur sinnvoll für Menschen mit Niedrigenergiehäusern oder energetisch sanierten Altbaulofts, in denen aber wohnten nur wenige. Außerdem: Woher soll denn der Strom kommen? Sie führt Oranienburg an. Das habe „als erste Stadt nun die Genehmigungen für Wärmepumpen und E-Autos zurückgezogen“, denn „der Strom ist nicht da und die Netze geben das nicht her“. Das nennt sie eine „irre Politik“ der „desolaten Ampel“.
Nun ja. Zwar hatten die Stadtwerke Oranienburg Anfang April erklärt, dass es einen Stromengpass gebe und sie erstmal keine neuen Stromanschlüsse tätigen könnten. Die Bundesnetzagentur untersuchte die Angelegenheit allerdings und befand: Der erhöhte Strombedarf „geht auf ein erfreuliches, starkes Wachstum der Stadt Oranienburg in Kombination mit einer um Jahre verspäteten Planung der Stadtwerke Oranienburg zurück“. Seit Ende April gibt es eine Lösung, auch neue Wärmepumpen sind kein Problem, meldete „Radio Berlin-Brandenburg“.
Auch sonst finden sich in Wagenknechts Rede einige halbrichtige Behauptungen: Österreichische Rentner:innen bekommen im Schnitt nicht 800 Euro mehr als deutsche, wie Wagenknecht sagt, sondern 400. Sie behauptet, das deutsche Gesundheitssystem sei das zweitteuerste der Welt, laut OECD steht es an vierter Stelle.
Die 54-Jährige wettert gegen Politiker, die in Wohlstandsblasen mit Latte Macchiato, Lastenfahrrad und E-Auto leben (Jubel). Und Kinder sollen an Grundschulen „wieder“ rechnen, lesen und schreiben lernen. Zur AfD fällt ihr zwischendurch ein, dass die im Bundestag stets dagegen stimme, wenn es um soziale Gerechtigkeit gehe. „Also ganz nebenbei, dass sie da irgendwelche Nazis hat, ist dieses Programm eben auch ein Problem.“
„Ist die Frau gegen die Ukraine?“
Jetzt hätte auch ein Exkurs zur Migrationspolitik gepasst, aber das Thema spricht auch Wagenknecht nicht an. Vielleicht passt die Vorstellung des BSW – Migration begrenzen und Leistungen für Asylbewerber:innen kürzen – nicht in eine Rede, die sich an den Regierungsparteien abarbeitet, denn die wollen das ja auch.
Den meisten Applaus erntet sie beim Thema Krieg und Frieden. Sie finde es auch schlimm, wenn Russland in der Ukraine Infrastruktur zerstöre (Tote kommen bei ihr nicht vor). Aber Waffenlieferungen lehnt sie ab, auch an Israel. Zum Abschluss gibt es nochmal die BSW-Schlagworte Vernunft, Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit und Frieden.
Eine Frau um die 40 kommt auf die Reporterin zu: „Entschuldigung“, sagt sie mit hartem Akzent. „Ich komme aus der Ukraine, vor zwei Jahren. Ich habe eine Frage: Ist diese Frau gegen die Ukraine?“ Hmm. Nicht direkt. Aber eher pro Russland als andere Parteien. „Aber Putin ist kein Mensch“, sagt sie. Ihre über 80-jährige Mutter daheim müsse fünfmal am Tag in den Luftschutzkeller. „Sie hat gesagt: Ich bin im Krieg geboren, ich sterbe im Krieg.“ Woher spricht sie nach zwei Jahren so gut deutsch? „Alles von Kollegen. Ich arbeite am Flughafen, auf der Messe. Wurst grillen: Rote Wurst, Bratwurst, zack zack.“ Sie lacht und ruft beim Weggehen: „Wir schaffen das. Wir schaffen alles! Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
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