Politik: Die CDU will abheben
So aufgeräumt war die Südwest-CDU lange nicht. Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel wird bejubelt beim Parteitag in Ludwigsburg, Erfolge bei der Kommunal- und Europawahl sind fest eingeplant. Dass ein inhaltlicher Kompass in vielen Fragen fehlt, tut nichts zur Sache.
Von Johanna Henkel-Waidhofer↓
Graf Zeppelin dient als Vorbild. Wenn es dem gelang, „dass Schiffe fliegen“, dann werde auch die hiesige CDU das Abheben schaffen. „Die Stimmung motiviert für mehr“, verkündet Manuel Hagel keineswegs nur mit Blick auf die Kommunal- und Europawahl am 9. Juni dieses Jahres. Vielmehr tritt der CDU-Landes- und Fraktionschef in Baden-Württemberg schon beim Parteitag in Ludwigsburg auf als einer, der 2026 Ministerpräsident im Südwesten werden will. Dass Luftschiffe mit im Gedächtnis sind durch den katastrophalen Absturz der „Hindenburg“ 1937 in den USA und die Ära des Langstreckentransportmittels damit schnell wieder zu Ende war, wird ausgeblendet von den Schwarzen im demoskopischen Aufwind. Nur nicht tiefer einsteigen in Hintergründe und Zusammenhänge, lautet die Devise, nur die gefühlte Euphorie nicht bremsen.
Es ist die Zeit der Hochglanz-Erzählungen, der Schlagworte und Floskeln und der Strategie, innerparteilich wichtige Akteur:innen nicht zu verprellen. „Ich weiß, dass ich hier gegen Windmühlen kämpfe“, traut sich einer dann doch, Wasser in den Wein zu gießen: Christian Bäumler, Landeschef des Arbeitnehmerflügels, begründet einen Antrag, der nicht zum ersten Mal gestellt wird und der einen Mindestlohn für Saisonarbeitskräfte in Deutschland unterstützt, weil einen solchen nicht zu zahlen schlicht rechtswidrig sei, argumentiert der langjährige Richter.
In der CDU fanden viele Hagels Auftritt stark
Abgelehnt wird der Vorstoß trotzdem. Um ein Signal an die Landwirte zu senden, wie es heißt. Die Rechtslage bleibt ausgeblendet. Wie für so viele Themen gilt: Finger weg von dem Ehrgeiz, Komplexes aufzudröseln. Steht der 80. Landesparteitag doch unter dem leicht fasslichen Motto „Mut. Tempo. Taten“. Widersprüche werden weggeklatscht, etwa wenn der neue Hoffnungsträger Hagel – erst einmal in Fahrt – Demut als den „Stolz der Konservativen“ anpreist. Um sich sogleich damit zu brüsten, dass kein anderer CDU-Landesverband in ganz Europa besser aufgestellt sei als der eigene.
Dennoch oder gerade deshalb beeindruckt der 35-Jährige das Auditorium, das sich mit rauschendem Beifall bedankt. Während seiner Ausführungen zum Hamas-Überfall auf Israel und zu seiner kürzlich absolvierten Nahost-Reise verspricht er, es gebe „für uns kein Relativieren der Morde an unseren älteren Geschwistern im Glauben“. Da ist es mit einem Mal andächtig still im Saal. Nachher im Foyer wird dies als stärkster Auftritt auf einem Landesparteitag gelobt, seit Hagel 2016 als Generalsekretär der baden-württembergischen Union in die Führungsspitze aufrückte.
Die Delegierten verabschieden den Initiativantrag „Staatsräson misst sich an Taten“ zur Unterstützung Israels und vor allem zum Umgang mit dem Iran, der bei genauerem Hinsehen dann allerdings doch Schwächen hat. An einer Stelle tritt der Landesverband ohne Namensnennung gegen Angela Merkel nach: „Ähnlich wie bei Putin haben Jahre der europäischen Appeasementpolitik nicht zur Sicherung des Friedens beigetragen.“ Erneut sei „unsere Außenpolitik im Umgang mit einer revisionistischen Diktatur gescheitert, daraus müssen wir Konsequenzen ziehen“. An einer anderen werden reichlich holzschnittartig genau diese Konsequenzen gefordert, wenn es heißt, die Revolutionsgarden sowie die Hisbollah seien „umgehend auf die Terrorliste der Europäischen Union“ zu setzen. Namhafte Europarechtler:innen warnen genau davor, weil die Hürden dafür äußerst hoch sind und dieser Art der Sanktion vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern könnte.
Abwägen oder Einordnen ist indessen nicht das Gebot der Stunde. Schon gar nicht, wenn es um die AfD geht und die „Vaterlandsverräter“ in deren Reihen. Da ist der Applaus für Hagel so laut und heftig, dass zunächst unklar war, ob er diese Vokabel tatsächlich verwendet hat. Er hat. Er teilt richtig aus und schafft es, aus seiner Sicht bisher selten genug, im Netz schnell in alle namhaften nationalen Medien.
Realsatire auf Wahlplakaten
Wie scharf die Abgrenzung gegenüber der Höcke-Partei tatsächlich ausfällt, muss sich noch zeigen. So kann sich einen Tag vor dem CDU-Event in Ludwigsburg der Stuttgarter CDU-Fraktionschef Alexander Kotz, Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl in der Landeshauptstadt, trotz Nachfragen nicht zu einer Absage an jedwede Zusammenarbeit mit der Rechtsaußen-Opposition aufraffen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Oberbürgermeister Frank Nopper laviert er, konstruiert Beispiele, kommt aber nicht zu des Pudels Kern und damit zu einer Antwort auf die unschwer begreifbare Frage, ob die CDU künftig die AfD als Mehrheitsbeschafferin im Gemeinderat nutzen will oder nicht. Nach einigem Hin und Her bleibt die Auskunft, es werde keine gemeinsamen Initiativen geben – seine Fraktion werde einen eigenen Antrag aber nicht zurückziehen, nur weil die AfD dafür sei.
Gerade in der größten Stadt Baden-Württembergs zeigt sich gegenwärtig, wie irrlichternd die Suche nach dem neuen schwarzen Kompass ist. „Das Beste für Stuttgart“ lautet das Versprechen der Kampagne, die unter anderem den Slogan „Stuttgart, lass dir das Auto nicht verbieten“ hervorgebracht hat. Ein- und Auspendler:innen im täglichen Dauerstau werden die Aufforderung bestimmt mögen. Auf einem anderen Plakat wird der politische Hauptgegner benannt: „Gesunder Menschenverstand statt grün-linke Bevormundung.“ Auf einem dritten, besonders realsatirisch wirkend in der Stuttgart-21-Stadt, wird der grün-linke Gemeinderat zur schlimmsten Baustelle in der Stadt erklärt. Von dieser Art Herabwürdigung der Konkurrenz verstehen führende Schwarze einiges, offenbar ohne sich lange mit der Frage zu quälen, mit wem denn dann gedeihlich zusammengearbeitet werden soll und welche Mehrheiten zustande kommen könnten.
Hagel rüffelt in Ludwigsburg das Verbrenner-Aus der EU, weiß aber sicher ganz genau, dass ein solches in Brüssel gar nicht beschlossen wurde, sondern allein der Betrieb von Verbrennern mit fossilen Kraftstoffen. Und er weiß, dass eine treibende Kraft dabei seine Parteifreundin war, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Trotzdem fabuliert er ungeniert über die Welt, „die uns auslacht“. Dass Winfried Kretschmann hier einer der größten Skeptiker war und seine Philippika gegen Verbrenner-Beschlüsse der Bundespartei ein hunderttausendfach geklickter Hit im Netz sind, fällt unter den Tisch. Die demoskopische Flaute der Südwest-Grünen soll eben genutzt werden, auf Teufel komm raus.
In der Rauchpause vor der Halle laufen lebhafte Diskussionen darüber, wie in Baden-Württemberg Boris Rhein zu kopieren sein könnte, Hessens Regierungschef, der nach der jüngsten Landtagswahl völlig unerwartet den Grünen den Stuhl vor die Kabinettstür gestellt und die SPD hineingebeten hat. Manche CDUler seien „geradezu besoffen“ von dieser Idee, berichtet ein Basisvertreter und auch, dass „relativierende Fakten wenig zählen“. Dazu gehört, dass es in Baden-Württemberg seit 13 Jahren einen grünen Ministerpräsidenten gibt, der seiner Partei und sich selbst Reputation und Popularität verschafft hat; oder dass die hessische SPD mit 15 Prozent immer noch ein Gewicht auf die Waagschale bringt, von dem die Roten im Südwesten seit 2016 bei Landtagswahlen nurmehr träumen können.
Der ungeliebte Koalitionspartner
Sympathien für die Partei, mit der die Union in Baden-Württemberg seit immerhin acht Jahren regiert, sind in Ludwigsburg kaum zu erkennen. Nina Warken, der Generalsekretärin, gelingt sogar der Doppelschlag: einerseits schon mal vorsorglich den möglichen grünen Spitzenkandidat bashen („Unser Land ist als Trostpreis für Cem Özdemir zu schade“) und andererseits der Fingerzeig, wohin die Reise künftig gehen soll. Denn „ob die Grünen nun mit Ricarda Lang, Andreas Schwarz und Cem Özdemir oder Micky Maus ins Rennen gehen, ist uns egal“, erklärt sie. Das spricht für Schwarz-Rot-Gelb, denn mit Micky Maus wird die CDU schwerlich regieren wollen. Dann schon eher mit Andreas Stoch, dem SPD-Landes- und Fraktionschef, sowie Hagels Wanderfreund Hans-Ulrich Rülke (FDP).
Ein erstes Husarenstück in Richtung Deutschland-Koalition mit SPD und FDP ist jedoch misslungen. Ein Parteitagsbeschluss sollte eine zusätzliche CDU-Forderung in die hochkomplizierten Gespräche über den Schulfrieden im Land Anfang Mai in Bebenhausen tragen, eine, die viel Geld kostet und sogar mit dem eigenen Bekenntnis zur angeblich unverrückbaren Schuldenbremse kollidiert. Es hätte versuchsweise schon mal eine „bildungspolitische Deutschland-Koalition“ geschmiedet werden können, wie einer sagt. Der Coup wurde in Ludwigsburg von der CDU-Spitze allerdings abgeblasen, der entsprechende Antrag entbeint und abgeschwächt. Der Haussegen mit den Grünen soll nicht in ernsthafte Schieflage geraten. Ganz im Gegenteil konnten sich die ungleichen Partner:innen noch einmal sogar auf weitreichende Kompromisse einigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen