Polit-Camp von Vollzeitaktivisten: Für mehr Ausstrahlung
Das Zentrum für politische Schönheit will klüger protestieren und bringt das Neulingen in einem Camp bei. Lernt man da auch, was das heißt: politisch schön?
Es geht um ein Strahlen. Um so etwas wie Schönheit. So will Philipp Ruch das alte Konzept Protest erweitern. Man sollte sich als Aktivist mehr zutrauen, als nur zu irritieren und zu provozieren, findet Ruch. Etwas Positives nämlich: ein Vorbild, eine Inspiration zu liefern, die den Betrachter dann nicht mehr loslässt. Vielleicht.
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Philipp Ruch hat dafür das Zentrum für politische Schönheit gegründet. Er und sein Mitstreiter Sascha Müller sind ein reichlich ungleiches Paar: Müller, in kurzer Hose, olivgrünem Shirt. Ruch, in blauem Businesshemd und Lederschuhen. Müllers Ohr meist am Handy, um Hindernisse zu beseitigen, die sich der nächsten Aktion in den Weg stellen könnten. Ruch ist ständig am Formulieren großer Worte und Ideen: Ästhetik, Moral, Ethik. Sein tägliches Handwerkszeug.
Bilder erzeugen Funken
Beide vereint ein Anliegen: Sie sind Menschenrechtler, und die deutsche Menschenrechtsbewegung hat ihrer Ansicht nach zwei Probleme. Sie ist mit ihren Appellen und Unterschriftenlisten medial zu wenig sichtbar - das ist das Effektivitätsproblem. Und sie strahlt nicht - das ist das Inspirationsproblem.
Ruch und Müller wollen mit ihrem Zentrum beide Probleme lösen. Sascha Müller weiß als Vollzeitaktivist in verschiedensten Initiativen: Der Weg einer politischen Idee in die Realität führt über die Agenda der Parlamente. Der Weg auf die Agenda führt über die Öffentlichkeit, also die Medien. Die mögen es deutlich. "Es geht immer um Bilder", sagt Müller. Ruch glaubt an den Funken, der aus einem Bild oder von einem Vorbild auf den Betrachter überspringt. "Es sind Bilder, die Menschen ergreifen. Dazu bringen, sich zu engagieren", ergänzt Müller.
Deswegen sitzen die beiden jetzt fernab aller politischen und medialen Bühnen im Innenhof eines mecklenburgischen Gutshofes, irgendwo bei Pasewalk. Um sie herum wuchert Unkraut. Die Herbstsonne strahlt.
Das Zentrum veranstaltet mit anderen Initiativen wie der Hedonistischen Internationalen oder "Mediaspree versenken" ein "Camp für politische Schönheit". Eine Schulung für politisch Interessierte, um die "Evolution des kreativen Protests" voranzutreiben, so haben sich Ruch und Müller das gedacht. Damit künftig mehr bildkräftige Aktionen entstehen. Ein Camp für Vertreter aller Anliegen, sagt Müller.
In dem Innenhof liegen zwanzig junge Menschen aus allen Teilen der Republik im Gras und pinseln däumchendrehende Hände auf Plastikplatten. Symbole für Untätigkeit.
Während im Hintergrund an diesem neuen Beispiel politischer Schönheit gearbeitet wird, arbeitet Ruch an der Beantwortung der Frage, die sich aufdrängt: "Wie, bitte, sieht politische Schönheit aus?" Er verschränkt die Arme und lehnt sich zurück: "In einfache Worte kleiden lässt sich das Konzept nicht." Lieber ein Beispiel: Der Protagonist ist ein CDU-Politiker. Christian Schwarz-Schilling, Helmut Kohls langjähriger Postminister. Einen "strahlenden Akt politischer Schönheit" habe dieser Schwarz-Schilling vollbracht. Der Minister trat 1992 zurück, weil ihm die Bundesregierung im Bosnienkrieg zu untätig schien. Einfach so. Er schäme sich, "Mitglied dieses Kabinetts zu sein".
Politische Schönheit sei in erster Linie moralische Schönheit, erläutert Ruch. Konsequente, ethische motivierte Handlungen. Eine Geisteshaltung, zunächst. Aber eine altgriechische Hoffnung bringe die Visualität wieder ins Spiel: "Die Betrachtung des Schönen macht den Betrachter moralisch schöner." Also arbeitet das Zentrum daran, leuchtende Vorbilder zu liefern.
Der fiktive Kanzler geht
Einen Tag vor der Bundestagswahl 2009 haben die Aktivisten einen Schauspieler als Bundeskanzler auf dem herbstnachtkühlen Berliner Alexanderplatz auf ein Podium gestellt. Als "besserer Politiker" sagte er, was ein Kanzler Ruch zufolge "eigentlich sagen müsste". In dem Straßentheater verzichtet der politisch schöne Bundeskanzler angesichts mehrerer Völkermorde in Afrika auf seine Macht, er tritt zurück und reist dorthin, um vor Ort zu helfen. Seine Bürger fordert er auf, ihn zu begleiten.
Am längsten hätten fünf Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes auf dem Alexanderplatz ausgeharrt, berichtet Ruch. Ein Fall von besonders effizientem Strahlen.
Auch das Bild des fundamentalen Scheiterns kann Strahlkraft entfalten, die die Zentrumsaktivisten zu nutzen versuchen. Eine "Säule der Schande" für die Opfer des Genozids von Srebrenica haben die Aktivisten im Juli errichtet. Eine Metallinstallation in Form der Lettern UN, gefüllt mit 16.744 Schuhen der Opfer des Massakers. Ein wuchtiges Bild. Und ein Vorwurf an die damals passiven Blauhelmtruppen. BBC und Al-Dschasira seien bei der Vorstellung der Skulptur live vor Ort gewesen, berichtet Ruch: "Das Foto ging um die Welt." Diese Art medialer Präsenz liefere Menschenrechtlern die dringend benötigten Referenzen im Gespräch mit Politikern. Das Sprungbrett auf die Agenda.
Auch wenn sich das Konzept da wieder etwas dem von Ruch abgelehnten klassischen Provokationsprotest annähert, geht es dennoch um Ausstrahlung. Ein Wort, das auf Leucht- und Überzeugungskraft oder Charisma verweisen kann. Oder auf Fernsehpräsenz.
Dieser wirkungsvolle Ansatz ist nicht allen Betrachtern geheuer. "Einigen aus der etablierten Ecke der Menschenrechtsbewegung sind wir zu effektiv, zu sichtbar", sagt Philipp Ruch. Das Verständnis von Menschenrechtsarbeit als Öffentlichkeitsarbeit stößt noch auf Ressentiments - vielleicht schwingt der Vorwurf einer reinen Event-Inszenierung mit. Was Ruch nicht gelten lassen würde: Alle Schuhe in der "Säule der Schande" seien in Bosnien gesammelt worden, an den Innenseiten mit Botschaften beschrieben. "Das war nicht nötig für die Kameras - wer hätte das sehen sollen?"
Vor allem auf politisch bislang eher passive junge Menschen scheint der künstlerische, positive Zugang Wirkung auszuüben. Der Einladung zur mecklenburgischen Einführungswoche in Sachen politischer Schönheit sind vor allem Protest-Neulinge gefolgt. "Für viele ging es erst mal darum, herauszufinden, wie das Transparent an die Stange kommt", sagt ein Teamer. Für Sascha Müller ein gutes Zeichen: "Wir wollten kein Insidercamp machen, sondern jungen Leuten zeigen, was möglich ist."
Beim ersten Versuch, politische Schönheit zu verwirklichen, werden die Campteilnehmer einen Tag später mit dem profansten aller Sichtbarkeitsprobleme zu kämpfen haben. Sie wollen auf dem Berliner Alexanderplatz ein selbstgestaltetes Straßentheater zu den halbherzig umgesetzten Entwicklungszielen der UN aufführen. Allein: Es regnet in Strömen. Nur ein Häuflein Passanten verfolgt das plakative "Däumchendrehen für Afrika" und sieht, wie ein symbolischer Wirtschaftsvertreter unerreichbar für Kontaktversuche vom Turm der Marienkirche baumelt.
Zweitrangig seien solche Widrigkeiten, sagt Sascha Müller. Er plant, das Camp nun jährlich stattfinden zu lassen. "Ich bin sicher: In zehn Jahren werden wir einige der Campteilnehmer als Köpfe hinter kreativen Protestaktionen wiedersehen." Strahlende Aussichten.
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