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Polens Ex-Justizminister Zbigniew Ziobro soll sich vor Gericht verantworten

Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Justizminister organisierte Bandenkriminalität und Veruntreuung von Staatsgeldern vor.

Der ehemalige Justizminister und Generalstaatsanwalt sowie jetzige Abgeordnete der PiS, Zbigniew Ziobro Foto: Rafal Guz/dpa

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Gabriele Lesser aus Warschau

taz | Endlich kann Polens Staatsanwaltschaft offiziell den Prozess gegen Ex-Justizminister Zbigniew Ziobro eröffnen. Am Freitagabend hob die Mehrheit der Parlamentarier im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, die Immunität des Politikers auf. Dazu mussten sie über jeden der 26 staatsanwaltlichen Vorwürfe einzeln abstimmen und dann auch über das Recht des zuständigen Gerichts, den Angeklagten polizeilich vorführen oder sogar verhaften zu lassen.

Hätte sich Ziobro vorher nicht immer wieder den Anhörungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses entzogen, der zu Untreue und Korruption im Justizministerium der rechtsnationalen PiS von 2015 bis 2023 ermittelte, wäre ihm der nun drohende Haftbefehl erspart geblieben.

Die Vorwürfe wiegen allesamt schwer. So soll Ziobro in seiner Amtszeit Gründer und schließlich Chef einer Gruppe der organisierten Kriminalität gewesen sein. Zudem legt ihm die Staatsanwaltschaft Veruntreuung in Höhe von umgerechnet rund 35 Millionen Euro zur Last. Das Geld aus dem sogenannten Gerechtigkeitsfonds hatte eigentlich Opfern von Gewaltverbrechen zugutekommen sollen. Stattdessen überwiesen die „Ziobristen“ im Justizministerium das Geld oft an Organisationen, die der PiS oder Ziobros eigener Partei, dem „Solidarischen Polen“ und ab 2023 „Souveränen Polen“ nahestanden.

Auch rechtsklerikale Stiftungen erhielten Zuschüsse aus dem Fonds in Millionenhöhe, ebenso Parteipolitiker, die vor allem auf dem Land mit Geschenken wie Feuerwehrwagen oder teuren Topf- und Pfannensets für die Landfrauen auf Stimmenfang gingen. Anscheinend wurde über die Vergabe der Zuschüsse unter anderem bei einem Treffen in Ziobros Privathaus in Jeruzal bei Skierniewice besprochen

Aus dem Gerechtigkeitsfonds wurde auch, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, der Ankauf des Spionagesoftwareprogramms Pegasus bezahlt, das die PiS aber nicht zur Terrorbekämpfung einsetzte, sondern oft zum Abhören der politischen Gegner und der Manipulation von Chatverläufen auf deren Handys. Es kam vor, dass politische Gegner später im PiS-Propagandasender TVP, dem ehemaligen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, öffentlich diffamiert wurden, um sie in den Augen der Wähler zu kompromittieren.

Die Ermittlungsgruppe 2 der polnischen Staatsanwaltschaft hat im Zusammenhang mit der Affäre rund um den Gerechtigkeitsfonds bereits mehrere Personen angeklagt, darunter den PiS-Abgeordneten Dariusz Matecki, dem darüber hinaus vorgeworfen wird, bei der polnischen Staatsfirma „Polnische Wälder“ nur eine fiktive Stelle gehabt zu haben. Eine über 200-seitige Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen acht weitere Personen aus dem Umkreis von Ziobro liegt dem Gericht bereits vor.

Dem Zugriff der polnischen Justiz erfolgreich entziehen konnte sich bislang der ehemalige Vizejustizminister Marcin Romanowski. Er erhielt in Ungarn politisches Asyl. Wahrscheinlich wird auch Zbigniew Ziobro bei Viktor Orbán in Ungarn um politisches Asyl bitten.

Er meldete sich nach der Abstimmung im Sejm aus Ungarn. Die umfangreiche Klage gegen ihn habe nicht mit Gerechtigkeit oder einem funktionierenden Rechtssystem zu tun, so Ziobro, sondern sei Ausdruck von Rache an einem politischen Gegner. Dass man ihn in Polen sogar verhaften wolle, komme in seinem Fall und bei seiner Krebskrankheit einem Todesurteil nahe. Im Gefängnis werde er niemals die Behandlung bekommen können wie in Freiheit und – so muss man hinzusetzen – im Ausland. Die öffentliche „Jagd“ auf ihn solle verdecken, dass in ganz Polen Krebsoperationen auf das nächste Jahr verschoben würden, weil die Kassen der Krankenhäuser leer seien. Zwar dementierten die derzeit verantwortlichen Politiker der Mitte-Links-Koalition unter Premier Donald Tusk dies sofort, doch aus einigen Krankenhäusern waren andere Töne zu hören.

Da Ziobro anscheinend nicht die Absicht hat, in absehbarer Zeit zurück nach Polen zu kommen und sich vor Gericht zu verantworten, wird Polens Staatsanwaltschaft eine internationale Fahndung nach ihm ausschreiben. Polens Staatspolitiker müssten dann darauf drängen, dass der internationale Haftbefehl auch respektiert und der Ex-Justizminister in sein Heimatland ausgeliefert wird.

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