Polen: Regierung bröckelt weiter
Premier entlässt den Innenminister. Es ist der zweite Wechsel im Kabinett in nur einem Monat. Nachfolger wird ein alter Bekannter der Kaczynski-Zwillinge.
Warschau taz Selbst eingefleischte Anhänger Jaroslaw Kaczynskis und seiner Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) zeigten sich am Donnerstagmorgen sprachlos. Am Abend zuvor hatte der polnische Regierungschef völlig überraschend seinen Innenminister entlassen. Janusz Kaczmarek war eine Stütze der Law-and-Order Politik der Kaczynski-Zwillinge. Was ihm allerdings in der Auseinandersetzung mit Jaroslaw Kaczynski am Ende nichts mehr nützte. Kaczmarek habe sein "Vertrauen schwer missbraucht", klagte Kaczynski am Mittwochabend.
Der Regierungschef wirft dem entlassenen Innenminister vor, den vor Monatsfrist zurückgetretenen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper von der Bauernpartei Samoobrona über einen kontrollierten Bestechungsversuch des staatlichen Antikorruptionsbüros (CBA) informiert zu haben. Lepper sollte nachgewiesen werden, dass er gegen Zahlung von 1 Mio. Zloty (rund 265 000 Euro) bereit ist, Landwirtschaftsland in Bauland umwidmen zu lassen. Die Aktion musste vorzeitig abgebrochen werden, womit auch die Beweise fehlten. Lepper wurde dennoch entlassen.
An dessen Stelle berief Kaczynski vor ein paar Tagen den ehemaligen Samoobrona-Abgeordneten Wojciech Mojszeszowicz, der zur PiS übergelaufen ist. Leppers Samoobrona droht seitdem mit dem Koalitionsbruch. Premier Kaczynski machte am Mittwoch Kaczmarski für das Leck bei der misslungenen CBA-Bestechungsaktion verantwortlich. Sein Zwillingsbruder Lech, der Präsident, unterbrach den gemeinsamen Urlaub der Brüder an der polnischen Ostsee und reiste nach Warschau, um einen neuen Innenminister zu ernennen.
Das Amt wird künftig von Wladislaw Stasiak geleitet, einem alten Bekannten des polnischen Staatspräsidenten. Beide hatten in den Neunzigerjahren zusammen beim Obersten Rechnungsprüfungshof gearbeitet. Ab 2002 war Stasiak unter Stadtpräsident Kaczynski für die Sicherheit der Hauptstadt verantwortlich. Zuletzt war er Chef des im Präsidialamt angesiedelten Nationalen Sicherheitsrates.
Damit geht erneut ein Schlüsselposten in der Regierung an einen Kollegen der Kaczynski-Zwillinge. Je tiefer die rechts-populistische Regierung in die Krise schlittert, desto mehr setzen die Kaczynskis auf alte Bekannte. Dabei spielt die fachliche Qualifikation oft nur eine untergeordnete Rolle. In Polen hat sich dafür bereits der Ausdruck "Kollegen-Staat" durchgesetzt.
"Wir erleben ein permanentes Ministerkarussell", kritisierte der Fraktionschef der oppositionellen, liberalen Bürgerplattform (PO), Bogdan Zdrojewski, Kaczmareks Entlassung. "Dieser Entscheid vertieft nur das Chaos", sagte er. Die PO will in der ersten Sejmsitzung nach der Sommerpause in knapp zwei Wochen jeden Minister einzeln per Misstrauensvotum abwählen lassen. Damit würde das rechts-populistische Kabinett indirekt zur sofortigen Ansetzung von Neuwahlen gezwungen. Auch Regierungschef Kaczynski stellte am Mittwochabend erneut vorgezogene Neuwahlen in Aussicht, vermied aber die Nennung eines Zeitrahmens.
Laut dem Staatspräsidenten Lech Kaczynski sind Wahlen im Herbst schlecht. In einem Interview hatte er von einem Wahltermin im Frühling 2008 gesprochen, sollte sein Bruder im Sejm keine stabile Mehrheit mehr für seine Regierung zusammenkriegen. Die Polen haben das ewige Rätselraten um Neuwahlen und Kabinettsumbildungen satt. Fast allen ist klar geworden, dass Jaroslaw Kaczynski einfach auf Zeit spielt, in der Hoffnung, dass fast alle Samoobrona-Abgeordneten Lepper verlassen und in seine PiS überwechseln werden. Dies würde es ihm erlauben, seine Macht bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2009 zu behalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!