Polen: Kabarett vom Leben überholt
Die Kaczyski-Regierung macht Polens Kabarettisten Konkurrenz. Die Spezialität der Politiker: Realsatire. Gelächter allerdings ist unerwünscht.
"Dies ist ein Nagel", sagt Polens Justizminister und hält sein Handy in die Kameras. "Ein Nagel!" Er dreht und wendet sein Telefon im Blitzlichtgewitter: "Der Sargnagel für die politische Karriere des Landwirtschaftsministers." Der Minister hat ein Telefongespräch mit dem Kollegen heimlich aufgenommen. Das, so glaubt er, wird diesen Kopf und Kragen kosten. Ein paar hundert Kilometer weiter im Norden des Landes gibt dann auch der Landwirtschaftsminister eine Pressekonferenz, holt sein Handy aus der Tasche und lässt es zirkusreif durch die Luft wirbeln. "Ich habe auch einen schönen Nagel", triumphiert er. "Nur heimliche Aufnahmen kann ich damit nicht machen."
Vor zwei Jahren begann in Polen die goldene Epoche des politischen Entertainments. Niemand ahnte damals, dass die Wahl der eineiigen Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski zu Präsident und Premier so zwerchfellerschütternde Folgen haben könnte. Kurz darauf bekannte der polnische Premier, kein eigenes Bankkonto zu besitzen, da ihm sonst womöglich jemand Geld überweisen und behaupten würde, er sei korrupt. Das Geld verwalte seine Mutter. Als schließlich Polens Kinderbeauftragte argwöhnte, die lilafarbene Teletubbie-Figur Tinky Winky sei homosexuell, da sie eine rosa Handtasche trage, kugelten sich selbst die Amerikaner: "Köstlich, diese Polen!" Seither kursiert im Internet das Bild eines polnischen Tinky Winky - mit Weihrauchfass statt Handtasche und einem Kreuz statt einer Antenne auf dem Kopf.
Auch das politische Kabarett hat Aufwind bekommen. So zieht die "Kontaktlinse" im privaten Fernsehsender TVN24 Polens Politiker durch den Kakao und hat Einschaltquoten, von denen andere Late-Night-Shows nur träumen können. Politische Witze verbreiten sich rasend schnell per E-Mail und SMS. "Das Leben hat meine Fähigkeiten als Künstler längst überholt", grinst Comiczeichner Szczepan Sadurski. "Vieles, was in Polen in den vergangenen Jahren geschehen ist, hätten sich die besten Satiriker nicht ausdenken können." So brüllt in einem Cartoon der Zeitschrift Polityka ein leicht überforderter Künstler der fiktiven Karikaturisten-Gewerkschaft ins Telefon: "Wir müssen Satiriker aus China und der Ukraine holen! Unsere Leute kommen nicht nach!"
Doch die zahlreichen Internetseiten, Fernsehshows und Radiosendungen, die Spott und Hohn über Polens politische Klasse ausgießen, beschäftigen inzwischen auch die Juristen. Denn die Mächtigen Polens werden gar nicht gerne ausgelacht. Wie viele Polen inzwischen wegen "Beleidigung des Staatsoberhauptes" angezeigt wurden, steht in keiner Statistik. Bis zu drei Jahre Haft drohen allein für die in Polen beliebte Verballhornung des Namens Kaczynski als "Enterich". Internetseiten werden geschlossen, Fernsehstationen mit horrenden Geldstrafen belegt, weil sie angeblich die "öffentliche Moral" verletzen, und sogar im Ausland werden Satiriker verfolgt. So zog sich Peter Köhler von der taz den Unbill der Kaczynskis zu, als er den Präsidenten als "Polens neue Kartoffel" verulkte. Zwar lehnte die Berliner Staatsanwaltschaft die von Warschau erbetene Rechtshilfe wegen "Beleidigung" ab, doch in Polen ist das Strafverfahren noch immer nicht eingestellt.
Polens privater Fernsehsender TVN24 hat längst eine Methode gefunden, den Beleidigungsklagen zu entkommen. Die Satiriker wiederholen gnadenlos, was polnische Politiker so von sich geben. "Nicht nur der Justizminister hat einen schönen Nagel, ich habe auch einen", ulkte kürzlich einer der "Kontaktlinsen"-Macher und kramte sein Handy hervor. "Zu welchem Sarg er passen soll, habe ich aber noch nicht entschieden."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis