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„Polen geht einen ganz anderen Weg“

Bürgerkomitees verstehen sich als Stütze der Regierung und verabschieden sich von Walesa / Walesa sieht die Bürgerkomitees als Bremse für den Pluralismus / Ist Walesa Ventil oder Motor der unzufriedenheit? / In Polen wollen alle rechts und liberal sein / „Centrum“ contra „Krakauer Initiative“  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Lech Walesa war nicht erschienen, als sich am Sonntag in Warschau die Vertreter aller regionalen Bürgerkomitees trafen. Kein Wunder; abgesehen davon, daß er gerade damit beschäftigt ist, eine Protestaktion polnischer Landwirte beizulegen, hätte die Stimmung unter den Delegierten seinen Blutdruck nur noch weiter erhöht. Denn während Walesa die Bürgerkomitees eher als Bremse für Pluralismus betrachtet, sahen sich die Versammelten im Sejmgebäude am Sonntag vor allem als „Stütze für die Regierung“ - eine Regierung, die Walesa immer häufiger und immer härter kritisiert. Mit dem Treffen vom Sonntag, an dem auch Premier Mazowiecki teilnahm, ist die Kluft zwischen Walesa und den Bürgerkomitees sowie der Regierung, die die Komitees als ihre Basis ansieht, noch ein Stück tiefer geworden.

Lech Walesa hat diesen Prozeß in Gang gesetzt, nach eigener Darstellung, um zu verhindern, daß die Bürgerkomitees die Monopolrolle der früheren PVAP übernähmen. Die Opposition, die am 4. Juni in Polen die Macht übernommen hat, war nur so lange homogen, wie sie einen gemeinsamen und mächtigen Gegner hatte - die Kommunisten.

Von der PVAP ist jedoch nur noch eine „Sozialdemokratie“ übriggeblieben, die immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert, sowie einige Splittergruppen und heimatlose Linke. Jetzt gibt es auch keinen Grund mehr für Solidarnosc, sich weiter als „Einheitsfront“ zu gebärden. Er habe dafür sorgen wollen, daß dieser Pluralisierungsprozeß nun beschleunigt werde, verteidigt sich Walesa. Also sollten sich die Bürgerkomitees auflösen und politischen Parteien Platz machen. Keine sehr angenehme Aussicht in einer Situation, in der alle rechts und liberal, keiner aber links sein möchte, weil links schon die Ex-Kommunisten sitzen, die nun als Sozialdemokraten ums politische Überleben kämpfen. Die Bürgerkomitees erwiesen sich als zäh, lösten sich nicht auf und gewannen nach den Parlamentswahlen auch noch die Kommunalwahlen.

Und der Danziger Gewerkschaftsboß mußte feststellen, daß ausgerechnet das Bürgerkomitee, das er selbst ernannt hatte, sich von ihm absetzte. Seine Mitglieder, zum großen Teil Intellektuelle aus Warschau, fanden die Idee, Walesa vorzeitig zum Präsidenten zu küren, außerordentlich destabilisierend; von ihrem Vorbehalten gegenüber dem Kandidaten selbst gar nicht zu reden. Hinzu kamen die noch von 1980 herrührenden Querelen zwischen der Warschauer Intellektuellen- und der Danziger Gewerkschafterszene. Der Konflikt war da. Walesa entzog erst Adam Michnik als Chef der „Gazeta Wyborcza“, dann auch Henryk Wujec, dem Sekretär des Bürgerkomitees sein Vertrauen. Einstweilen erfolglos Michnik blieb wo er war, und Wujec wurde von den Delegierten am Sonntag wieder ins Sekretariat gewählt - zusammen mit Walesa-Kritiker Zbygniew Bujak, der diese Prozedur vorgeschlagen hatte, „um uns vor Manipulationen zu schützen.“

Walesa führt eine ausgesprochen harte Sprache gegenüber der Regierung. Mal „schämt er sich für sie“, mal kanzelt er sie in Interviews ab. Teils spricht er damit aus, was viele einfache Menschen, die unter den Härten der Reform leiden, wirklich empfinden und wirkt so als eine Art Druckausgleich für die Regierung. Aber zum teil ist das auch schon Präsidentschaftswahlkampf.

Walnesas Warschauer Gegner führen dagegen an, daß Wahlkampf und die damit verbundene Demagogie der Wirtschaftsreform nur schaden würden. Walensa hält dem entgegen, daß eine „politische Beschleunigung“, wie er seine Kandidatur gerne nennt, der Regierung den Rücken für die Reform freihalten würde, weil sie für das Volk eine Art moralischer Ausgleich für die Härten der Wirtschaftspolitik böte.

Den Worten folgen inzwischen Fakten. Nach der Entstehung des „Centrum“ trafen sich in Krakau mehrere Dutzend Intellektuelle auf Einladung des liberalen Katholiken und Chefredakteurs des „Tygodnik Powszechny“, Jerzy Turowicz. Seither steht dem „Centrum“ die „Krakauer Initiative“ gegenüber. Absehbar schon jetzt: Politische Basis des „Centrums“ wird die Gewerkschaft sein, Basis der „Krakauer“ die Bürgerkomitees. Ob die das ohne Spaltungen durchstehen, ist allerdings offen, denn natürlich sitzen auch in manchen Komitees Anhänger von Walesas Konzeption.

Dieses neue politische Spektrum ist nicht ohne eine gewisse Ironie: Nicht genug, daß beide Gruppierungen keine Parteien sind und auch nicht sein wollen. Auch das „Rechts-Links -Schema“ kommt dabei ordentlich ins Rutschen. Hinter dem rechtsgerichteten „Centrum“ steht ein Gewerkschaftsführer, der permanent das Elend der Arbeiterklasse im Munde führt, während seine Fürsprecher versuchen, die Köpfe des Bürgerkomitees als gottlose Linke und Kryptokommunisten zu diskreditieren.

Ausgerechnet diese „Linken“ allerdings sind es, die eine neoliberale Regierung mit einem monetaristischen Wirtschaftsprogramm unterstützen. Wie sagte Prof. Geremek seinerzeit während des Runden Tisches zu ausländischen Journalisten: „Sie machen einen Fehler, wenn sie alles an westeuropäischen Kategorien messen wollen. Polen geht einen ganz eigenen Weg.“

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