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Pointen verpaßt

■ betr.: „Wider die Paranoia des Skeptikers“, taz vom 31.5. 96

Mag sein, daß es Zeitvergeudung ist, angesichts einer so albernen und dumm schwadronierenden Darstellung einer Vorlesung, die sich hochtrabend als deren Kritik aufspielt, aber nur mühsam und kurios alliteriert („mit einem Schwall Studenten in den Hörsaal schwappt“) oder peinlich kalauert („mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks“), sich auch noch der Mühe einer Replik und Richtigstellung zu unterziehen.

Um welche Art von Kritik geht es in dieser „Vorlesungskritik“ eigentlich? Und welchen Zweck verfolgt sie (falls sie überhaupt einen verfolgt)? Eine Vorlesung jedenfalls ist keine kabarettistische Darbietung, und entsprechend verfehlt eine sich solchermaßen gerierende „Kritik“ ganz einfach ihren Gegenstand. Doch nicht nur das: Die Zitierweise Bollmanns – offenbar eher auf Wirkung denn Sorgfalt bedacht – legt Bieri Äußerungen in den Mund, die dieser keineswegs so geäußert hat, suggeriert Zusammenhänge, die Bieri selbst überhaupt nicht hergestellt hat, und tilgt andere, ohne die ein angemessenes Verständnis einzelner wiedergegebener Äußerungen aber schlicht ausgeschlossen ist, eine „Methode“, die fraglos in der komplett konstruierten Bildunterzeile gipfelt. Nicht von vornherein als „Spinner“ abzutun sei (so Bieri) vielmehr der erkenntnistheoretische Skeptiker, weil er zunächst nichts anderes tut, als gemeinhin akzeptierte Annahmen in ihr Extrem zu treiben. Zum „universellen Paranoiker“ gerät er indessen, wenn die Rechtfertigungen, deren er zu seiner Skepsis bedarf, ihrerseits Gegenstand dieser Skepsis werden, und so fort ad infinitum (oder nauseam). – Was Bieri möglicherweise, oder unterstelltermaßen, über sich selber denkt, kam in dieser Vorlesung gar nicht zur Sprache ...

Auch von „logischen Ableitungen“ konnte keine Rede sein, dieser Ausdruck ist sachlich falsch (ebenso wie weiter unten der Begriff „naturalistisch“). Logische Ableitungen kann es nur in einer in der Regel prädikatenlogisch formalisierten Satzmenge oder Theorie geben, nicht in einer Begriffsanalyse, wie sie in der Vorlesung unternommen wurde (die Verwendung diverser logischer Zeichen hatte lediglich abkürzende Funktion). Für die Erkenntnistheorie gibt es in diesem Sinne (und auch sonst) nicht das Geringste „logisch abzuleiten“.

Zu den analysierten Begriffsverwendungen gehörten die Verben „wissen“ und „erkennen“. Die völlig zusammenhanglos wiedergegebenen Beispiele angeblich „paranoider Typen“ – ein Ausdruck Bollmanns, nicht Bieris – dienten an dieser Stelle der Illustration des Gedankens, daß nicht jede Berufung auf „Wissen“ mit Kriterien aufwarten kann, die die Genese solchen „Wissens“ wirklich erklärt, ohne dabei jeden erkenntnistheoretisch brauchbaren Begriff des Wissens selbst preiszugeben. Um irgendwelche „psychologischen“ Einsichten ging es in ihnen nicht; die Rolle dieser Beispiele war eine ganze bescheidene.

Wo und wie, dürfte der uneingeweihte Leser sich zu Recht am Ende fragen, soll in diesem scheinbaren Sammelsurium obskurer Gedanken, zu dem in Bollmanns Darstellung die Vorlesung unweigerlich gerät, ein „sorgsam ausgetüftelter Plan“ ausfindig zu machen sein? Nun, der Plan war wirklich da – aber Bollmann hat so gut wie alle seine Pointen verpaßt. Bärbel Richter

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