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Point 'n' clickScharmützel um Dr. Entropy

■ Computerspiel als interaktiver Comic: „Superhero League of Hoboken“

Opas Apokalypse-Kino: Im Supermarkt gibt es das ultimative Lebensmittel Soylent Grün, immer mehr Leute auf der Straße rennen mit Atemmasken herum, Dr. Strangelove übernimmt die Weltregierung ...

Peanuts angesichts der schönen neuen Endzeitwelt von übermorgen, wie sie uns Computerspieldesigner Steve Meretzky in seinem mit Rollenspiel-Elementen gewürzten Satire-Adventure „Superhero League of Hoboken“ vor Augen führt. In 200 Jahren ist die Erde kontaminiert, die Städte zerfallen, alle Regenwälder sind abgeholzt, die Ozeane umgekippt, Polkappen schmelzen. Statt prosperierender USA existieren nur noch degenerierte Stadtstaaten, derweil Banden furchterregender Mutanten das postapokalyptische Niemandsland unsicher machen.

Immerhin gibt es noch Hoboken. In der – dem Rest der Welt allenfalls als Geburtsort von Frank Sinatra bekannten – amerikanischen Version von Kleinkleckersdorf, malerisch am über alle Ufer getretenen Hudson River mit Blick auf die deprimierende Skyline eingestürzter Wolkenkratzer von Manhattan gelegen, hat denn auch die örtliche Superhelden-Liga, ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Angetreten ist sie, inmitten von Barbarei und Chaos für „peace, justice, and the American way“ zu kämpfen wie weiland Superman, Captain Marvel & Co. Zwar ist das Faible für schrille Berufsbekleidung ungebrochen, die nachsintflutlichen Superkräfte sind aber keineswegs „far beyond those of mortal men“, vielmehr hochgradig hirnverbrannt. Statt Teleskopblick, Radargehör und Atommucki-Power warten die abwegigen Urenkel von Clark Kent mit ganz anderen Talenten auf: So kann der Tropical Oil Man den Cholesterinspiegel seines Gegners erhöhen, Captain Excitement Tiere in Schlummer versetzen, Mademoiselle Pepperoni den Belag einer Pizza durch die verschlossene Schachtel erkennen.

Durchaus nützliche Fähigkeiten im Umgang mit nicht weniger aberwitzigen Mutanten wie radioaktiv glühenden Bohnenfressern, die Todesfürze aussenden, mutierten Supermuttis, die einen zum Auftragen schmuseweicher Häkelpullunder zwingen wollen, amoklaufenden Tele-Evangelisten, zweiköpfigen Babies, Hybriden aus Kofferradio und Richard Nixon, Killerhühnern, Monsterbäumen – bis hin zu komplett durchgeknallten Kreaturen wie dem King Kong Salmon, einem genmanipulierten Riesenlachs, der zum Laichen auf die Spitze des Empire State Building klettert!

Im Hoboken-Hauptquartier von Einsatzcomputer Matilda bezüglich ihrer aktuellen Missionen gebrieft, reist das Superhelden- Kommando kreuz und quer über unwegsames Gelände, das als zunächst zappendustere, sich sukzessive erhellende Landkarte vorliegt. Bei Feindberührung wird automatisch in einen Kampf-Screen umgeschaltet: Nach Fantasy-Rollenspiel-Manier laufen die Scharmützel rundenweise ab – immer ein Superheld mit Superkraft oder Spezialwaffe (witzigerweise werden sogar Erbsenpistolen, Plastik-Bumerangs oder in Arsen getränkte Hirschgeweihe benutzt) gegen einen Mutanten; hinterher werden die Hitpoints hochgerechnet.

Die von der Superhelden- Truppe glücklich erreichten Einsatzorte, die sozusagen Adventure-Oasen im Rollenspielkosmos bilden, präsentieren sich als hübsch gezeichnete und minimal animierte Grafiken, sind zwar nicht allzu umfangreich, können aber mit einigen knackigen Puzzles aufwarten. Hier geht es beispielsweise darum, eine Limburger-Käse-Autobombe zu entschärfen oder den verrückten Wissenschaftler und Obermotz Dr. Entropy (ein menschlicher Kopf auf einen Springteufel gepflanzt) von der Züchtung einer neuen Spezies absolut zielsicher kackender Tauben abzuhalten; lauter fatale Bedrohungen des großen Ziels, die dahinvegetierende menschliche Gesellschaft aus ihrem soziokulturellen Zwischentief herauszuführen! Jenseits der Reizüberflutung durch immer aufwendigere, mit 3D- Animationen bis zum Abwinken vollgestopfte CD-ROM-Produktionen, beharrt Steve Meretzky, einer der Pioniere des Adventure-Genres („Hitch Hiker's Guide to The Galaxy“, „Leather Godesses of Phobos“, „Spellcasting“), mit seinem B-Film-inspirierten Endzeitepos nach wie vor auf den Special effects der schreibenden Zunft, sprich: Sein Game ist mehr interaktiver Comic-Roman denn Digi-Spielfilm zum Rumlaufen!

So steckt der – leider komplett englischsprachige – Witz auch in dem umfangreichen Textapparat voller Insider-Gags. Selbst die Kämpfe sind ein buchstäbliches Vergnügen: Auf dem Bildschirm ist nur die wild herumvoguende Monstermeute zu sehen, die eigentliche Haudrauf-Action läuft als kleine Erzählung ab. Zwar sind einige Anspielungen und Seitenhiebe auf amerikanische Trivia nur schwer zu entschlüsseln (oder weißt du auf Anhieb, wer Dick Clarke, George Steinbrenner oder Ed McMahon sind?), das Gros der Pointen sorgt aber auch diesseits des Atlantiks für Schenkelklopfen: Wo sonst gibt's grimmige Türhüter, die nicht nur Superheldenköpfe, sondern auch Stephen-King-Erstausgaben sammeln? Holy Moly! – wie Captain Marvel sagen würde. Ulrich Hölzer

Superhero League of Hoboken (Legend); Preis: ca. 120 DM

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