Plakate in Hessens Wahlkampf: Papier ist geduldig
So spannend Hessens Wahlkampf ist - die Wahlplakate der Parteien zeigen die gleichen öden Gesichter und kryptischen Botschaften wie immer. Einzige Ausnahme ist Roland Koch.
Jörg-Uwe Hahn - Macher und Mensch!" Dass der Landes- und Landtagsfraktionsvorsitzende der hessischen FDP als Spitzenkandidat seiner Partei auf den Wahlplakaten in den liberalen Stammfarben Blau und Gelb explizit darauf hinweist, dass er der Gattung Mensch (Homo sapiens) angehört und nicht den Hühnervögeln (Gallus) zugeordnet wird, ist durchaus nachvollziehbar. Ganz und gar nicht dagegen die Verwendung der Parole: "Freiheit statt Sozialismus!", mit dem die Union schon vor vierzig Jahren ihrer Phobie vor einem mutmaßlichen Linksruck in Deutschland dialektisch Ausdruck verlieh. Bei der FDP heißt das aktuell: "Freiheit oder Sozialismus".
Für die Freiheitsrechte steht natürlich nur die FDP, für die Unfreiheit alle anderen Parteien, die nach der Diktion von Hahn sowieso "alles sozialdemokratische Parteien" sind; inklusive der CDU. Und Hahn droht: Wer nicht FDP wählt, bekommt den Sozialismus - und wird diese Krankheit dann auch nicht mehr los. Würde es speziell dieses Plakat der FDP nicht geben, wüssten wir Wähler gar nicht, dass es ohne die FDP in Hessen noch nicht einmal die Pressefreiheit geben würde. Und dass wir ohne die FDP am staatlichen "Gängelband" den hoch aufgetürmten Schuldenberg hinaufklettern und uns - mühsam oben angelangt - auch noch die Hosentaschen ausleeren und das letzte Hemd ausziehen und dann die Halde wieder herunterjagen lassen müssten. Genau so nämlich geht es zu im Sozialismus, glaubt Hahn zu wissen. Mensch, Hahn! Da lachen ja die Hühner.
Und die für den Sozialismus ja eigentlich zuständigen Linken gleich mit, aber nur klammheimlich. Auf ihren, in den Farben Rot und Gelb gestalteten großen Plakaten jedenfalls, sind irgendwie humorlos aussehende, vom Leben gezeichnete Menschen abgelichtet. Verzweifelte Hartz-IV-Empfänger auf dem Weg zu ihrer Arbeitsagentur vielleicht? Rentner mit kleinstem Budget, die sich mit Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz solidarisieren? Vielleicht das Mitropa-Team "Rosa Luxemburg" des IC Zwickau-Zittau mit dem holländischen Chefkoch Willi van Oooyen in Frontstellung? Alles falsch. Die Menschengruppe auf den Plakaten der Linkspartei ist die Speerspitze des hessischen Proletariats, das den alten ewigen Kampf gegen die Bourgeoisie wieder neu aufgenommen hat. Es handelt sich also um die Spitzenkandidaten der Linken, deren Mitglieder teilweise in der sowjettreuen DKP sozialisiert wurden. "Werktätige auf Leinwand in Öl" hießen solche (Ab-)Bilder im sowjetischen Realismus. Die Linke - geschichtsbewusst. Und Klassenkampf ist schließlich immer angesagt. Wer die Botschaften der Linken auf ihren kleinen Plakaten mit großen Aufreißern wie "Wirklich wichtig!" oder "Armut bekämpfen" lesen will, muss sich viel Zeit nehmen - und auch als nur leicht sehbehinderter Hesse seine Brille nicht vergessen haben. Aber die meisten Menschen lesen das Kleingedruckte ja sowieso nicht.
Warum aber auch ausgerechnet die wahlkampferprobten Grünen rätselhafte Plakate kleben, auf denen zusammengepresste Maiskörner in Form einer Handgranate zu sehen sind, erschließt sich dem Betrachter erst während eines Pressefrühstücks in einer großen Altbauwohnung in Wiesbaden, die als Parteizentrale missbraucht wird. Nein, sie wollten mit diesem Plakat nicht auf die von den Grünen im Bundestag mit befürworteten Auslandseinsätze der Bundeswehr am Hindukusch oder auf dem Balkan hinweisen, beschied Landtagsfraktionschef Tarek Al-Wazir genervt. Und die "Maisgranate" sei auch kein grüner Debattenbeitrag im Rahmen der aktuellen Diskussionen zur Befriedung gewalttätiger Jugendlicher mit und ohne Migrationshintergrund - oder gar ein ganz spezieller Hinweis auf den von den Grünen schon lange geforderten "knallharten" Umgang mit Rechtsextremisten. Die "Maisgranate", sagt dann Fraktionssprecherin Elke Cezanne, gehöre zu einer Plakatserie der Grünen gegen den Einsatz der Gentechnologie in der Landwirtschaft; und das sei doch schließlich eine "explosive Angelegenheit". Nur deshalb sei auf dem Plakat gentechnisch veränderter Mais in Handgranatenform zu sehen. Tatsächlich? "Tatsächlich." Wer hätte das gedacht? Unkomplizierter ist die Botschaft auf den Wahlplakaten der rechtsradikalen "Republikaner", die immer ganz oben an den Laternenpfählen hängen - die Plakate, nicht die "Republikaner". Diese dampfen nämlich die ganze Kampagne von Roland Koch (CDU) gegen angeblich "zu viele kriminelle ausländische Jugendliche" und die illegalen Hausschlachtungen ganzer Hammelherden in den Wohnküchen der Eltern dieser "Schläger" gekonnt auf drei Wörter ein: "Kriminelle Ausländer raus!"
Ergänzend dazu kleben die Braunen noch zwei weitere Plakate: "Unser Volk zuerst!" und: "Minarettverbot!" Da bleiben dann - anders als bei den Grünen- keine Fragen mehr offen. Von den kryptischen Plakaten der rechtsextremistischen NPD dagegen könnten die mit dieser Partei sympathisierenden Glatz- und Hohlköpfe bei längerer Betrachtung Phantommigräne bekommen: "Sozial geht national!", steht darauf. Hä? Die NPD hat allerdings auch an die vielen Analphabeten unter ihren Anhängern gedacht, und einen begabten jungen Maler und Kameraden aus Österreich ein schönes Bild zeichnen und das dann auch gleich als Plakat drucken lassen. Weiße Schafe kicken darauf ein schwarzes Schaf aus der Herde. Eine vielleicht etwas überfrachtete, von den Volksgenossen wieder nicht auf Anhieb zu interpretierende Allegorie.
In einer Frankfurter Vorstadt jedenfalls standen erst vor ein paar Tagen zwei gestiefelte Aktivisten der NPD mit offenen Mündern vor ihrem gerade erst frisch und ordentlich auf die dort vorhandene Stellwand geklebten Plakat. "Hey, gehören wir nun zu den weißen Schafen? Aber wir marschieren doch im schwarzen Block mit? Oder sind wir das schwarze Schaf? Geht es hier um die Ausgrenzung von uns Nationalen durch die linken Blockparteien und die Zeckenpolitiker? Also, Kamerad, ich weiß nicht?" "Ich auch nicht", antwortet der Kamerad. Abgang mit Leimeimer, Bürste und Plakatrollen.
Gegen die Phantommigräneanfälle der Nazis hilft dann vielleicht auch das von den Freien Wählern (FW) verschriebene Mittel gegen "Kochschmerzen". Die Rechtsradikalen werden gern zugreifen, denn die auf den Großplakaten der FW zu sehende, der Verpackung von Aspirin ähnelnde Tablettenschachtel ist nicht zur Hälfte grün wie im Original, sondern braun. Man fasst es nicht - und sich an den Kopf.
Ja, Köpfe werden auch immer noch gern gezeigt - vor allem von SPD und CDU. Das mag bei der ganz sicher nicht unattraktiven Spitzenkandidatin der SPD, Andrea "Ypsi" Ypsilanti, kein Nachteil für die wahlkämpfende Partei sein. Und auch nicht, dass auf anderen Plakaten der SPD geschickt der politische Gegensatz zwischen Ypsilanti und ihrem Kontrahenten Roland Koch von der CDU mit dem Thema Frau vs. Mann verknüpft und dann zugespitzt visualisiert wird: "Er ist zuständig für die Millionäre - Sie für Millionen Hessen." Das haut hin. Die hellblauen Plakate der SPD mit dem roten Y als Corporate Identity sind jedenfalls ein Eyecatcher. Und sie passen inhaltlich meist zur Unterschriftenkampagne der SPD für die flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen.
Die CDU dagegen pflastert die Fußgängerzonen mit den Konterfeis ihrer Wahlkreiskandidaten zu. Die Köpfe der immer gleichen Krawattenträger um die 50 hängen dort an den Plakatständern. Und der Unionspolitiker im Wahlkreis X sieht genau so knäckebrottrocken und insgesamt uninteressant aus wie der im Wahlkreis Z. Das ist jetzt auch der hessischen CDU-Spitze aufgefallen. Generalsekretär Michael Boddenberg stellte gestern Kochs finale Populismuskampagne vor und reagiert damit auf die gefallenen Umfragwerte des Ministerpräsidenten. "Ypsilanti, al-Wazir und die Kommunisten stoppen!", heißt es auf dem neuen Plakat, auf dem Koch zusätzlich vor dem "Links-Block" warnt. Mit dem zweiten neuen Slogan "Gewalt braucht eine harte Antwort" nimmt Koch Bezug auf seine Kampagne gegen Jugendgewalt. Es kommt also doch noch Bewegung in den Plakatwahlkampf der CDU. Das ist allerdings kein Wunder, wurde die Einfallslosigkeit der Werbestrategen der Union auch intern längst kritisiert. Mobilisierungseffekte würden damit nicht erzielt, heißt es.
Ob die Misere der CDU an der Plakatfront mit der neuen Kampagnenwut aufzuhalten ist? "Mer waas es net genau", antwortet der Hesse auf solche intimen Fragen. Wahlplakate, sagen Werbefachleute, würden den Parteien sowieso keine Zugewinne an Wählerstimmen bringen; es gehe nur darum, die Stammwählerschaft bei Laune und bei der Stange zu halten - und die Basis zu beschäftigen. Da können die ganz kleinen Parteien, die kaum plakatieren, ja beruhigt sein. Eine Stammwählerschaft haben sie sowieso nicht. Und nur eine sehr schmale Basis. Gern allerdings würde man einmal ein Plakat der "Piratenpartei" sehen. Ist da dann vielleicht Jonny Depp als Brigant drauf? Oder geht Koch auf einem Narrenschiff über die Planke? Kommt da noch was? Gerade für Chancenlose gilt die alte Parole aus K-Gruppen-Zeiten nämlich noch immer: Wer klebt, lebt. Noch.
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