Pläne von Präsident Selenski: Zweifel an Antikorruptionsgesetz
Präsident Selenski geht härter gegen Bestechlichkeit in der Ukraine vor. Kritiker:innen sagen, er wolle damit nur eigene Leute schützen.
Der Kern der Initiative ist eine zukünftige Gleichsetzung von Korruption als Tatbestand mit Landesverrat – zumindest, solange in der Ukraine Kriegsrecht herrscht. „Wenn es Beweise für Korruption gibt, gehört die Person hinter Gitter“, so Selenski. Damit reagierte er auf eine Reihe von Skandalen, die in der Ukraine zuletzt ans Tageslicht gekommen waren.
So wurden im Juli bei der Familie von Jewgeni Borissow, dem obersten Militärkommissar von Odessa, im In- und Ausland Luxusimmobilien und Autos im Wert von mehreren Millionen Euro gefunden. Weitere Geschichten über Reisen von Männern ins Ausland, das Beschaffungswesen im Verteidigungsministerium sowie die Musterungskommissionen, welche über die Wehrdiensttauglichkeit einer Person entscheiden, machten die Runde.
Während Nutzer:innen in den sozialen Netzwerken über das neue Gesetz dementsprechend frohlocken, glauben Kritiker, dass Selenkski die Gesellschaft täuschen möchte. Die Gleichsetzung mit Verrat hat ihrer Meinung nach in Zeiten des Krieges nichts mit einer wirklichen Bekämpfung von Korruption zu tun. Anhänger des Präsidenten entgegnen dem, zunächst die Veröffentlichung des Gesetzentwurfes abzuwarten.
Bis zu 15 Jahre Gefängnis
In mehreren vorab zirkulierenden Versionen wurde unter Berufung auf Quellen im Büro des Präsidenten über die angeblichen Neuerungen spekuliert. Demnach habe Selenski dem Geheimdienst (SBU) das Recht übertragen wollen, Korruptionsfälle zu untersuchen, bei denen es um insgesamt 24 Millionen Hrywna (umgerechnet 600.000 Euro) geht. Die restlichen Fälle würden dem Antikorruptionsbüro überlassen.
Den Plan habe Selenski aber aufgrund der möglichen Empörung westlicher Staaten verworfen. Diese fordern schon seit vielen Jahren den Aufbau von Antikorruptionsbehörden mitsamt Sonderstaatsanwaltschaft und Gericht, abgesichert durch entsprechende finanzielle Unterstützung.
Doch auch die endgültige Fassung des Textes sieht nun vor, dass der Generalstaatsanwalt der Ukraine entscheiden kann, wer in hochkarätigen Korruptionsfällen ermitteln soll: das Antikorruptionsbüro oder der SBU. Dazu werden zwei neue Artikel in das Strafgesetzbuch aufgenommen, die jeweils Eingriffe in die wirtschaftliche und militärische Sicherheit der Ukraine sanktionieren.
NGOs: Ein Gesetz, um die eigenen Leute zu decken
Die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Sicherheit wird mit einer Freiheitsstrafe von 8 bis 12 Jahren geahndet werden. Auf Bestechungsgelder, die Beamte erhalten, stehen 10 bis 15 Jahre Gefängnis. Wird ein Militärangehöriger bei der Annahme von Bestechungsgeldern erwischt, droht ihm eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren.
Zweifel daran, dass das Parlament (Rada) das Gesetz annehmen wird, bestehen nicht. Selenski verfügt mit seiner Partei Diener des Volkes über eine klare Mehrheit, die immer wieder auch von anderen Abgeordneten unterstützt wird.
Nichtregierungsorganisationen zeigten sich angesichts der Pläne entsetzt: Wenn die Vorschläge des Präsidenten angenommen werden, hätten der SBU und die Gerichte die Möglichkeit, Gegner der Regierung hinter Gitter zu bringen und „ihre eigenen Leute“ zu decken. „Das sieht eher nach einem Versuch aus, die Gesellschaft zu täuschen, als nach einer Lösung des Problems“, erklärte das von den USA und der EU finanzierte Anti-Corruption Action Center.
Auch bei der Antikorruptionsorganisation Transparency International Ukraine „bestehen Zweifel an der Fähigkeit des SBU, sich dem Einfluss der Präsidentenlinie zu entziehen“. Der unpolitische Charakter ihrer Untersuchungen könne so fraglich sein, heißt es in einer Erklärung. Ganz unbegründet ist dieser Verdacht tatsächlich nicht: Der Geheimdienst in der Ukraine wird gemäß Verfassung vom Präsidenten kontrolliert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“