: Pistolen müssen Castor schützen
■ Atommülltransport aus La Hague überquert deutsche Grenze. Polizeipräsenz und Hubschrauber an der ganzen Strecke. Polizei wird nervöser und brutaler. Menschenkette zwischen Dannenberg und Gorleben verboten
Hannover (taz) – Blockaden im Wendland – nicht nur rund um Dannenberg. Mal blieben sie bunt und friedlich, aber immer öfter löste die Polizei sie brutal auf. Schon bevor gestern mittag AKW-Gegner bei Landau in der Pfalz den für Gorleben bestimmten Castor mit hochradioaktivem WAA-Müll gesichtet hatten, war es vor Ort in Dannenberg mit der angespannten Ruhe vorbei. Von Uelzen aus war jener sechzehnachsige Tieflader unterwegs, auf den in Dannenberg der Behälter aus Frankreich umgeladen werden sollte. Mehrere tausend Einwohner des Landkreises Lüchow-Dannenberg haben inzwischen in Zeitungsanzeigen erklärt, daß sie sich heute gegen den zweiten Gorleben- Transport querstellen wollen.
Auch den Schwertransporter für den Castor konnte ein Teil von ihnen immer wieder durch Blockaden stoppen. Mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln prügelte die Polizei den Transporter durch 1.800 DemonstrantInnen zur Castor-Umladestation. In Jameln mißhandelte die Polizei einen Bauern, der sich mit seinem Trecker vor einer Gruppe von 200 Blockierern postiert hatte, schwer: Addi Lambke, der mit seinem Traktor schon vor fast 20 Jahren den ersten Gorleben-Treck nach Hannover angeführt hatte, erlitt Platz- und Schnittwunden am Kopf, als die Polizei erst auf die Scheiben seines Traktors und dann auf ihn eindrosch.
Der Ordnungsmacht, die mit rund zehntausend Mann das Wendland an allen Ecken belagert, gingen schon gestern immer öfter die Nerven durch. Bei einer Blockade von vielleicht hundert trommelnden Frauen warf ein Zivilpolizist eine Frau auf das Pflaster und zog sofort seine Pistole. Die Frau hatte lediglich mit erhobenen Armen vor dem Auto eines Reporters gestanden.
BI-Sprecher Wolfgang Ehmke warnte gestern die Polizei davor, „die Stimmung weiter anzuheizen“. Mit harten Knüppeleinsätzen, mit wenige Meter über den Demonstranten kreisenden Hubschraubern wolle die Polizei „jene Schlacht um Gorleben provozieren, die die Bürgerinitiative immer vermieden hat“, sagte der BI-Sprecher. Ehmke rief die Castor-Gegner auf, „sich entschlossen, aber vor allem ruhig gegen den Transport querzustellen“.
Der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) ist gestern per Hubschrauber zu einem Blitzbesuch in der Einsatzzentrale vor Ort gelandet. Er rief die Polizei nicht zur Deeskalation, sondern zum entschlossenen Einsatz auf. Die Menschenkette zwischen Dannenberg und Gorleben wurde gestern verboten. Fast beschwörend verlangte die Grünen-Landtagsabgeordnete Rebecca Harms von Glogowski, mäßigend auf die Polizei einzuwirken. Statt mit den Polizeiführern solle er sich mit den entnervten Beamten und mißhandelten Castor-Gegnern unterhalten.
Die Meldung, daß der Castor samt Vorauszug die Bundesrepublik erreicht hat, war in Dannenberg gestern mittag eingegangen. Erst ein Vorauszug mit drei alten D-Zug-Wagen und einem Kontroll- und Reparaturwagen, im Abstand dahinter der eigentliche Castor-Zug: zwei Dieselloks, zwei Personenwagen und jener von einer silbernen Haube bedeckte Güterwagen, der den Atommüllbehälter in Richtung Wendland transportiert. Dort sollte er heute früh gegen vier Uhr eintreffen.
Jürgen Voges Seiten 7 und 11
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