PhotoEspaña in Madrid: Schütteln und werfen
Um die Zukunft der Fotografie geht es bei der PhotoEspaña in Madrid: Mit Künstlern wie Gerhard Richter und Laurie Anderson präsentiert die 12. Ausgabe des Fotofestivals das Motto Alltagserfahrung.
Die Zukunft der Fotografie heißt "shake and throw" - oder ist es die Zukunft der Telefonie? So genau lässt sich das nicht sagen, seitdem das Telefon nicht nur mobil, sondern auch eine Kamera und ein Monitor geworden ist - und damit eine der machtvollsten Maschinen unseres Alltags, die sämtliche unsere Kommunikationsmöglichkeiten an sich gezogen hat, gleichgültig, ob es um Sprechen, Schreiben oder Bilderherstellen geht.
"Shake and throw" benennt nun folgende Aktion: Man nehme seine Mobiltelefonkamera, mache eine Aufnahme, schüttele das Telefon und führe danach eine Wurfgeste aus - und schwupp wird das Bild per Bluetooth-Technik auf den nächsten in der Nähe befindlichen Monitor geworfen. Nein, einem auf diese Art und Weise gestalteten Diavortrag möchte man nicht unbedingt beiwohnen. Aber wer weiß, in welchem Zusammenhang diese spontane Bildkommunikation einmal nützlich sein kann? Es geht, wie gesagt, um die Zukunft der Fotografie, besser die der Telefonie - weswegen sie auch im Headquarter von Telefonica erdacht wird. Seit Neuestem befindet es sich am Stadtrand von Madrid. Dort ließ sich der weltweit drittgrößte Telefonkonzern, zu dem in Deutschland O2 gehört, einen Bürokomplex bauen, der verblüffend genau Jacques Tatis Tativille aus "Playtime" imitiert, 12.000 Mitarbeiter beherbergt - und für einen Tag noch die zehn Mann starke Journalistengruppe aus Deutschland, die zur PhotoEspaña anreiste.
Apropos "shake and throw": Die Kunst ist auch hier wieder einmal der technischen Fantasie weit voraus. Gerhard Richter jedenfalls hat das Prinzip schon lange drauf. Das zeigen seine "Übermalten Fotografien" in den Galerieräumen des alten, 1928 nach dem Vorbild des Chicagoer AT&T-Gebäudes erbauten, Bürohochhauses von Telefonica im Zentrum von Madrid. Die Ausstellung ist neben der Journalisteneinladung der Beitrag des Telefonkonzerns zur 12. Ausgabe des Fotofestivals, das er auch finanziell unterstützt. Gerhard Richter fischte also für diese Arbeiten immer wieder ein Foto aus der Pappkiste, in der er seine privaten Knipserbilder hortet, schüttelte es (behaupten wir mal), warf es dann auf die Farbreste seines Rakels - und schwupp war das Bild fertig, auf dem Richters Familie, die Stadt Florenz oder der Kurator Hans-Ulrich Obrist in wundersamen Farbwogen oder -klecksen aus Öl und Lack untergehen. Die Bilder sind voll surrealistischem Witz und scheinen in der Leichtigkeit des Seins zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit zu hausen, mal mehr auf der einen oder anderen Seite, je nachdem wie Richter eben schüttelte und warf.
Die Richter-Schau zählt zu den Höhepunkten der PhotoEspaña mit ihrem Angebot von über 70 Ausstellungen, Workshops und Symposien. Vor zwölf Jahren entstand sie in Reaktion auf den Wunsch der Öffentlichkeit nach mehr zeitgenössischer Fotografie und gilt inzwischen als eines der bestinformierten Fotofestivals weltweit. Jetzt wurde Malick Sidibé, der sich in den 50er Jahren in Mali als Fotograf etablierte, der mit 12.000 Euro dotierte PhotoEspaña-Preis der Schweizer Uhrenmanufaktur Baume & Mercier verliehen. Unter seine Vorgänger zählen Hiroshi Sugimoto, Duane Michels, Robert Frank, William Klein oder Nan Goldin mit ihrem jeweils maßstabsetzenden Werk, um nur einige der Preisträger zu nennen.
Malick Sidibés Alben, in denen er die Studioaufnahmen sammelte, die er in den 60er und 70er Jahren von Bamakos coolen Großstadtkids anfertigte, sind Teil der brillanten Ausstellung "The 70s". Sérgio Mah, der künstlerische Leiter der PhotoEspana, und der britische Fotohistoriker, Kritiker und Kurator Paul Wombell präsentieren kanonische wie marginale, viel zu lange viel zu wenig beachtete Positionen derart, dass sie ihren Status getauscht zu haben scheinen, weswegen man meint, in Folge Neuentdeckungen zu machen. Der Auf- und Umbruch, den die 70er Jahre in der Kunst- und Fotoszene bedeuteten, wird so spontan spürbar und begreiflich. Schlagartig wurden damals sämtliche Standards, etwa das Schwarzweiß der Landschafts- und Kunstfotografie oder der Human Interest-Ansatz der Reportage- und Dokumentarfotografie, kritisch in Frage gestellt.
Bahnbrechend wurden Konzeptarbeiten wie etwa "Fully Automated Nikon", die man heute unbedingt Sophie Calle zuschreiben möchte, die aber von Laurie Anderson stammt, die 1973 die Männer fotografierte, die sie auf ihrem Weg durch die Straßen von New York anmachten. Diese Anmache ging ihr so auf die Nerven, dass sie schließlich auf ihre Nikon als Waffe verfiel. In einem schlichten schwarzen Rahmen hängen die Aufnahmen der jeweiligen Männer in Serie und darunter, in einem weiteren schlichten schwarzen Rahmen, die kleinen Texte, in denen Laurie Anderson notierte, wo die Männer sie auf welche Art und Weise angegangen waren und wie sie darauf reagierten, als Anderson ihnen erklärte, dass sie von ihnen ein Foto machen möchte. In nuce findet sich in der Installation jene Alltagserfahrung, die das Thema der diesjährigen PhotoEspaña ist.
In den 70er Jahren sorgten die bildgewordenen Alltagsbanalitäten noch per se für Irritation. Heute braucht es dafür größeren Aufwand, wie in Sara Ramos Einzelausstellung zu beobachten ist. Die Alltagszenen ihrer Fotografien, Collagen, Installationen und Videos sind von der Künstlerin, die zwei Jahre nach "Fully Automated Nikon" in Madrid zur Welt kam, gewissermaßen gekidnappt, also aus ihren ursprünglichen Kontext herausgebrochen und in einem verfremdeten Zusammenhang wiederverwendet worden. Ramo hat es die spezifische Absurdität unseres Werktags angetan, die in den viel zu vielen unsinnigen Dingen liegt, mit denen unser Leben vollgestopft und verstopft ist. Um diese Absurdität ins Bewusstsein zu rücken, muss sich auch Sara Ramo gedacht haben, hilft nur noch "shake and throw" - und schwupp bringt sie die verdinglichten Verhältnisse in bemerkenswerten Fotoserien und Videos sehr konkret zum Tanzen.
Bis 26. Juli, Madrid, www.phe.es
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