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Philosophische Konferenz in LondonWir, Kommunisten

Denker und Philosophen diskutieren über aktuelle Gesellschaftskritik und versuchen den Namen Kommunismus aus seiner realhistorischen Versenkung zu holen.

Im so geschnörkelten wie gepflegten Stadtteil Bloomsbury in London ließ sich die vergangenen Tage eine merkwürdige Erfahrung verzeichnen: Während unter den ersten Sonnenstrahlen in einem Park jeder Tourist verdächtig ist, eigentlich arbeitsloser Investmentbanker zu sein, hängen an einzelnen Laternen kleine, dezente Aufforderungen zur Denunziation jener, die durch antisoziales Verhalten auffällig wurden. Wohl verstanden meint antisoziales Verhalten eher Fußballspielen in der Straße und alkoholisierte Rüpelei denn Investmentbanking.

Diese Logik sagt auch, dass eine philosophische Konferenz kein antisoziales Verhalten ist, denn sie schadet dem Lauf der Dinge nicht. Das ist jedoch, wie sich mit Slavoj Zizeks Eingangsstatement vor den rund 800 Teilnehmern der Londoner Kommunismus-Konferenz am Wochenende festhalten lässt, falsch. Gut zu handeln ist der Imperativ der zeitgenössischen Moral und bedeutet, im Verein mit Bill Gates die Welt retten zu wollen. Mit Zizek ist die richtige Antwort darauf weniger ein anderes Handeln als vielmehr die Aufforderung, etwas ganz anderes zu tun: zu denken.

Wie aber lässt sich heute noch affirmativ an einer Idee des Kommunismus festhalten? Das Problem läuft auf die Verknüpfung zweier Dinge hinaus: der Möglichkeiten zur Realisierung dessen, was unter Kommunismus gemeint sein könnte, und dessen, was im abstrakten Sinne die Fortschreibung seiner Idee ist. Dieser Widerstreit liegt, wie Alberto Toscano in seinem Beitrag hervorhob, im Begriff selbst. Das Aushalten, Reformulieren und Behaupten dieser Schwierigkeit, dass die Lösung einerseits nicht gegeben ist, sondern sich in konkreten Situationen entwickelt und dass andererseits an der abstrakten Idee absoluter Gleichheit als leitender Idee festzuhalten ist, führte Peter Hallward in seinem Beitrag wiederum zu einer Reformulierung des Konzepts des Willens.

Politik ist eine Frage der subjektiven Entscheidung und muss sich abseits der organisierten Meinungen, der Umfragen und der ausgewogenen Übereinstimmungen halten. Diese Distanz der Politik ist zunächst die Distanz zum Staat, und so lässt sich zugleich der große gemeinsame Nenner der Konferenz von Michael Hardt und Antonio Negri bis hin zu Zizek, Jacques Rancière und Alain Badiou erfassen.

Bei Hardt und Negri zeigt sich diese Distanz anhand konkreter Widersprüche heutiger kapitalistischer Gesellschaften. Im Denken Badious bindet sich diese Distanz stärker an Ereignisse der Geschichte wie die Oktoberrevolution oder die Pariser Commune.

Jacques Rancière unterstrich die Notwendigkeit, eine Geschichte dieser singulären Momente mit der Schaffung neuer Punkte der Unmöglichkeit zu verknüpfen. Wenn die kommunistische Hypothese die Behauptung einer solchen Geschichte ist, dann kann davon die kommunistische Idee unterschieden werden, die, wie Alain Badiou es differenzierte, die immaterielle, zeitlose Axiomatik der Gleichheit all dieser Ereignisse bezeichnet. Es ging und geht darum, soziale Gleichheit in Distanz zum Staat zu denken.

Dass an dieser Stelle Zwist entsteht, wurde ziemlich genau fünf Minuten vor Ende der Konferenz deutlich. Die Diskussion entzündete sich nach Judith Balsos brillantem wie orthodoxem Vortrag, in dem sie Politik radikal von der Philosophie unterschied. Balso unterstrich die formale Seite eines Denkens, welches sich nicht über Analyse und Kritik, sondern einzig in der Form des Ereignisses Politik versteht. Hier geht es um etwas, und es schieden sich die Positionen Hardts, Negris und Zizeks von Badious und anderen. Nach Badiou, Balso oder Rancière führt von der Analyse kein unmittelbarer Weg zur Politik, die eine subjektive und unwägbare Entscheidung bleibt und in der Behauptung der Möglichkeit einer unmöglichen Position besteht. Die Kongress-Frage "Was tun?" spaltete, auch wenn es, wie Zizek betonte, an der Zeit sei, den Namen Kommunismus aus seiner realhistorischen Versenkung zu holen, um ihn mit neuen Begriffen zu verknüpfen, wozu genau die letzten fünf Minuten der Veranstaltung sprachen.

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4 Kommentare

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  • H
    Hajü

    Marx definiert Kommunismus NICHT als eine bestimmte Verkehrsform der Gesellschaft wie etwa die antike Sklavenhaltergesellschaft oder den Feudalismus als Form, in der Menschen mit sich und mit der Natur! verkehren, sondern Kommunismus heißt, diese Verkehrsform, diesen Umgang untereinander und mit der Natur bewusst und selbstbestimmt herzustellen: Kommunismus ist "die Produktion der Verkehrsform" selbst.

    Im übrigen sehr gute Kommentare von Hirschelmann und Hirschel.

    Zum Artikel selbst: "Gutes tun und mit Bill Gates die Welt retten"; warum ist klar. Weil wir als Gattung dabei sind sie als Lebenswelt zu zerstören. Historisch gesehen ist uns in der Mehrzahl das noch nicht sehr lange bewusst. Dabei wollen wir das doch gar nicht. Das Problem, vor dem auch Marx steht, ist das der "Mensch neben den Produktionsprozess getreten ist, statt sein Hauptagent zu sein".

    Kommunismus ist halt ein Begriff, nicht mehr und nicht weniger. Und "ein Begriff ist ein Griff mit dem man Dinge begreifen kann" (B.Brecht)

  • A
    archimedes

    "(...) Politik, die eine subjektive und unwägbare Entscheidung bleibt und in der Behauptung der Möglichkeit einer unmöglichen Position besteht (...)"

     

    Na, so lange diese Philosophierenden nur derart sinnloses Zeug reden, wird kein Machthaber vor ihnen oder ihren Theorien viel zu befürchten haben, im Gegenteil: Irrationalismus fügt sich immer bestens in Unterdrückungsformen, unter welcher Flagge auch immer sie verborgen werden.

     

    Richtig ist zwar, dass in vieler Hinsicht ein "direkter" Weg von Analyse zu Poltik nicht existiert, aber daraus folgt mitnichten, dass mensch Armut an Konkretion hinter metaphern- und paradoxie-reichem Gerede verbergen muss.

     

    Die Aufsätze von Amartya Sen oder Martha Nussbaum, z.T. auch Gerald Cohen, Nancy Fraser und Judith Butler u.a. z.B. über Capabilities etc. sind für personelle und institutionelle Unterdrückung menschlicher Freiheit und menschlichen Glücks eine deutlich größere Gefahr als solche Arten von "Kommunismus"-Diskussionen.

  • HH
    Hans-Herrmann Hirschelmann

    Es versteht sich, daß die Aufhebung der Entfremdung immer von der Form der Entfremdung aus geschieht.

     

    Marx: MEW Bd. 40, S. 553

     

    Es mag tatsächlich Zeit sein, den Namen Kommunismus aus der historischen Versenkung zu holen, obwohl das Bergen der von Freunden wie Feinden des "Realen Sozialismus" gleichermaßen versenkten Perspektive (!) "K" diese Benamsung nicht unbedingt bräuchte. Das Begehren, den Namen (statt der Perspektive) mit neuen Begriffen (statt mit neuen Konzepten politischer Bewegung) zu verknüpfen zeugt auch eher von einer nach wie vor gründlichen Entfremdung zwischen Namensdeutung und Perspektive, die nirgends größer zu sein scheint, als bei der kommunistischen „Familie“. Und diese Entfremdung kann durch astrologisches Deuten neuer Konstellation gedanklicher Fixsterne nicht aufgehoben werden. Zumal nicht durch eine Verknüpfung des Namens „K“ mit dem Deutungskonzept einer „abstrakten Idee absoluter Gleichheit als leitender Idee“, auf die dann eine „Reformulierung des Konzepts des Willens“ aufbauen soll. Heißt also Fixieren eines der Notwendigkeit gleicher Geschäftsbedingungen kapitalistischer Warenanbieter/innen erwachsenden moralischen Werts als „ewige kommunistische Wahrheit“ und deren Verknüpfung mit einem Konzept, wie dieser „wahre Wert“ denn nun endlich die Massen ergreifen könnten, auf dass diese - ergriffen vom gedanklichen Fixstern „absolute Gleichheit“ - ehrfürchtig ihren Hut vor den Namen des ehrenwerten Herrn „K“ ziehen wollen.

     

    Gegen dieses neue Elend „kommunistischer Philosophie“ könnte es helfen, einen Blick zurück auf die Marxschen Perspektiven zu wagen:

     

    “Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.”

    Marx/Engels: Die deutsche Ideologie. MEW Bd. 3, S. 35

     

    Der aufzuhebende Zustand (!) aber ist das unerträgliche Unvermögen, die (sozialen) Zwecke der Produktion auch sozial, also miteinender bestimmen zu können. Von dieser Erkenntnis aus können Fortschrittsindikatoren der „K“ - Perspektive bestimmt werden. Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit markierten den Ideenhimmel menschlicher Emanzipation in den Grenzen des Warenverkehrs. Heute ist es an der Zeit, die Verallgemeinerung des Vermögens zu systematisieren, miteinender Menschheitsprobleme wahrzunehmen und lösen zu können – wie immer man das dann nennen möge.

    Hans-Hermann Hirschelmann, Berlin

  • HH
    Hans Hirschel

    Es versteht sich, daß die Aufhebung der Entfremdung immer von der Form der Entfremdung aus geschieht

     

    Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844.MEW Bd. 40, S. 553

     

    Vorausgesetzt, der Bericht gibt den Kongress realistisch wieder, scheint wieder einmal kaum wer weiter von einer zeitgemäßen Vorstellung von Kommunismus entfernt als wie die Kommunisten.

     

    Das beginnt schon mit der Definition von K" als eine moralistische Idee (radikale Gleichheit), die dann aller kritischen Kritik zu Grunde liegen bzw. politisch zu realisieren sei. Mehr Marx lesen ließe vielleicht den Grad der Entfremdung ahnen, die darin zum Ausdruck kommt.

     

    “Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.”

     

    Marx/Engels: Die deutsche Ideologie. MEW Bd. 3, S. 3

     

    Der aufzuhebende Zustand aber ist das soziale (auch politische und geistige) Unvermögen, die sozialen Zwecke der Produktion auch sozial bestimmen zu können. Was das heißt, kann wiederum nicht durch astrologisches Deuten geistiger Fixsterne definiert werden. Die Produktionszwecke (inklusive dem Produktionszweck "Entwicklung von Produktionsmitteln bzw. Produktivkräften") kann schlicht und ergreifend nur heißen, sie miteinander zu bestimmen / entwickeln.

     

    “Freiheit”, “Gleichheit”, “Geschwisterlichkeit” waren die gedanklichen Fixsterne der menschlichen Emanzipation in den Grenzen des freien Warenverkehrs. Von nun an sollte es um die Erarbeitung der Möglichkeit frei assoziierter Persönlichkeiten und Institutionen gehen, Menschheitsaufgaben kooperativ anpacken zu können.(Weite Gedanken in diese Richtung: http://hhirschel.wordpress.com)

     

    Hans Hirschel, Berlin