Philipp Rhensius hört auf den Sound der Stadt:
Menschen, die Musik eskapistisch finden, sind Untertanen der Gegenwart: Sie kämpfen im Dienst der überall propagierten Alternativlosigkeit. Doch Musik enthält nicht nur Realität, sie erzeugt sie auch – oft als bessere Alternative zum Mainstream. „Borderless“ etwa, die audiovisuelle Performance von The Lappetites im Heimathafen Neukölln, erzählt die Utopie einer Welt ohne staatliche Grenzen, in der sich Menschen vollkommen frei bewegen können. Dabei verschalten AGF, Kaffe Matthews und Ryoko Akama elektroakustische Sounds mit Bild-Projektionen. Akustisch lässt sich Wasser aus dem Hahn nicht von brutzelndem Fett unterscheiden. Wie aber klingt „Natur“ im Vergleich zum Künstlichen? Das Duo Ornis bastelt mit „Scattering Layer“ eine der Natur nachempfundene Parallelwelt. Während Sabine Vogel mit ihrer Flöte und Elektronik Naturklänge simuliert, schafft die audiovisuell arbeitende Künstlerin Kathy Hinde Bilder vom Schattenspiel von Vogelschwärmen (Karl-Marx-Str. 141, 12. 4., 20 Uhr).
Auch Christina Ertl-Shirley und Felicity Mangan vom Duo Plants and Animals sonifizieren im Zabriskie Point biochemische Prozesse. Die Australierin Mangan verknüpft Tiergeräusche aus ihrer Heimat mit „biophonischen Mustern“, Ertl-Shirley verwandelt das Knistern von Wurzelgeflechten in Drones. (Manteuffelstr. 73, 14. 4., 20 Uhr).
Subkutan, unter die Haut gehend, ist auch die Musik bei „Reef“ in der Griessmühle, wo die breakbeatfreudige Clubmusik-Avantgarde gastiert. Neben Darwin, dem DJ-Alias der Party-Gründerin, spielen die britische Breakbeat-House-Virtuosin Ikonika, Shady P aus Detroit und Dubstep-Mastermind Pinch aus Bristol. Dessen ultradüstere Ästhetik transportiert HörerInnen zuverlässig in die abgelegensten Winkel dystopischer Unterwasserwelten, um sie von der kathartischen Magengruben-Massage als transformierte Wesen wieder auftauchen zu lassen (Sonnenallee 221, 14. 4., 20 Uhr).
Nicht weniger viszeral, dabei aber stilistisch offener – von Reggae über Dubstep bis Techno – ist die Reihe Wax Treatment, die am frühen Sonntagabend in der Griessmühle allen LiebhaberInnen von Subbässen die perfekte „Tatort“-Alternative bietet. Wer noch nicht überzeugt ist, dass Musik Realitäten schafft, hat ihr noch nie auf dem eigens mitgebrachten Killasan Soundsystem gelauscht. Weil hier der Sound der einzige Gott ist, sind die Körper der Tanzenden obligatorisch zum Soundsystem gerichtet. Schöner kann die Huldigung der Musik als Widerstand gegen die Partisanen der Wirklichkeit kaum sein (15. 4, 18 Uhr).
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