Phänomen Diether Dehm: Der singende Linke
Er ist Romanautor, Schlagerkünstler und Chef der niedersächsische Linken: Bei einer Lesung schimpft Diether Dehm auf seine Parteiführung und ein Keyboarder spielt dazu. Ein Ortstermin.
BERLIN taz Sie sind abhängig. Deshalb stehen Politiker lächelnd in Fußgängerzonen. Deshalb spielen Musiker auf Tankstelleneröffnungen und tingeln Schriftsteller durch Buchläden und triste Stadtteilbibliotheken. Um erfolgreich zu sein, brauchen sie die Aufmerksamkeit der Leute, deren Anerkennung, wie der Süchtige den Stoff. Und wenn Anerkennung der Stoff ist, dann ist Diether Dehm ein Junkie.
Der Landesvorsitzende der niedersächsischen Linken kämpft als Politiker, als Liedermacher und als Autor um die Gunst der Leute. Und dafür kommt er zu ihnen, notfalls auch in ein kiefernumringtes Häuschen in Lehnitz bei Berlin. Weder von dem erstmaligen Einzug seiner Partei in den Niedersächsischen Landtag hat sich Dehm abhalten lassen noch von der Affäre um die DKP-Frau Christel Wegner. Der Mann, der nach 33 Jahren in der SPD zur Linken wechselte, sitzt Freitagabend in der Bibliothek der Friedrich-Wolf-Gedenkstätte und schaut in die meist schon recht furchigen Gesichter der Gäste. Dreißig Leute wollen an diesem Abend sein Showpaket: Lesung, Lieder und politische Lehrmeisterei. All inclusive für fünf Euro.
"Ich muss zugeben, dass ich ihr Buch angefangen, aber recht schnell wieder weggelegt habe", eröffnet die Gedenkstättenleiterin die Veranstaltung, "aber Sie werden uns ja heute sicher die spannenderen Stellen noch mal vorlesen." Dehm schaut sie gütig an, so etwas lächelt er weg. Sein dunkler Bart zieht sich fein ziseliert über die Wangen und um die Mundpartie. Die Locken des 57-Jährigen sind noch frei von Grau, und unter dem seriösen Sakko züngelt ein feurig rotes Hemd. Die modische Entsprechung seiner Doppelrolle aus Politprofi und Schlagerkünstler, der Hits wie "Was wollen wir trinken sieben Tage lang" und "Tausendmal berührt" geschrieben hat. Nicht er, sondern die holländische Combo Die Bots und Klaus Lage stürmten damit die Charts und feierten Erfolge.
Doch das ist lange her. In der Bibliothek soll es nur um das Buch gehen, das er geschrieben hat: "Bella Ciao". Es handelt von Liebe, Kampf und Widerstand der Partisanen in Mussolinis Italien, weshalb Dehm es erst als historischen, dann als Abenteuer- und schließlich als Liebesroman preist. Mit seinem Werk ist es ein wenig wie mit Dehm selbst: Es ist einfach alles in einem.
Doch damit an diesem Abend nichts durcheinandergeht, erklärt Dehm erst mal die Regeln: "Ich werde heute vor allem für Sie lesen", sagt er, "doch zwischendurch auch singen." Auf politische Fragen werde er erst anschließend eingehen, erklärt Dehm. Natürlich hält er sich nicht daran.
Ausschweifend doziert er über die Lehren von Antonio Gramsci. Dehm ist jetzt ganz Salonsozialist mit Schwerstmiene. Er kommt über die Diktatur des Proletariats ("Hebt sich selbst auf") auf die Staatskonzeption Lenins, dessen Werke in elfbändiger Ausgabe schräg hinter ihm im Regal stehen. Die Lider der Gäste werden schwer. Das rote Fähnchen im Knopfloch eines älteren Herren hebt und senkt sich gewaltig mit dessen Atem. Lenin und so was, das kennen sie doch alles.
Erst als Dehm sein Eigenwerk zur Hand zu nimmt, kommt Stimmung in der Gedenkstätte auf. Als er vorliest, setzt ein Keyboarder mit Schnauzer und Lederweste ein. Die Gäste erfreuts. Sie wippen mit, wie auch bei den Brecht-Liedern die Dehm zwischendurch schmettert. Und natürlich bei Dehms Meisterwerk "Monopoly" ("Die an der Schlossstraße verlangen zu viel"), mit dem aber wieder nicht er, sondern Klaus Lage Erfolge feierte.
Einmal in Schwung, feuert Dehm auch politische Salven ab: Dietrich Genscher sei "ein Gangster", weil er zur Teilung Jugoslawiens beigetragen habe, die Äußerungen "dieser DKP-Frau" Christel Wegner waren "völlig doof" und von "den Aufpassern" in seiner Partei lasse er sich trotzdem nicht zum Antikommunisten umbiegen. Dafür kriegt er Szenenapplaus.
Doch Politik hin oder her, am Ende packt Dehm sein Publikum noch mal am Gefühl. Er liest den Schluss seines Romans: " nachdem sie eine Weile so gesessen hatten, begann sie lauter zu summen und trotziger. Und mit ihrer Fingerkuppe vermischte sie ihrer beiden Tränen auf dem harten Holz." Das sitzt, jetzt packt er ein. Er hat dreißig Rentner beglückt und zwölf Bücher verkauft. Das kann ihm keiner nehmen, nicht mal Klaus Lage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!