Peymanns Prophezeiungen: Untergang des Abendlandes
Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, kritisiert die Piratenpartei und die deutschen Gegenwarts-Dramatiker. Er verteidigt Günter Grass und präsentiert das Wien-Festival.
BERLIN dapd | Der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, ist von den deutschen Gegenwarts-Dramatikern vollkommen enttäuscht. „Es gibt nur noch Nicht-Stücke“, sagte der 74-Jährige am Freitag in Berlin, wo er den Spielplan des ersten Wien-Festivals (ab Sonntag) präsentierte.
Es gebe viele Werke, „aber nicht eines interessiert mich“, fügte er hinzu. Selbst die neuen Werke der von ihm hoch geschätzten Elfriede Jelinek seien seit zehn Jahren bedeutungslos. Und Botho Strauß habe leider seine Freude am Theater verloren.
Daher sei es derzeit wichtiger, die Werke der alten Dramatiker zu spielen, sagte Peymann. Man müsse die Werke bewahren, wie es die Museen täten. „Zurzeit sind die Bewahrer wichtiger als die Entdecker“, betonte der Direktor und fügte hinzu: Für einen solchen Satz hätte er sich noch vor wenigen Jahren „eine Kugel in den Kopf geschossen“. „Die Demontage des Abendlandes“ sei im vollen Gang. „Wir sind am Ende des Kapitalismus'. Das Gebäude wird zusammenkrachen, dagegen war der Bums des Zweiten Weltkrieges nichts.“
Peymann verteidigte den Autoren Günter Grass, der wegen seiner Israelkritik in einem vor rund zwei Wochen veröffentlichten Gedicht massiv in der Kritik steht. Es sei unfassbar, dass der Autor von allen “tot gemacht“ werde. Dies sei auch ein Zeichen der Zeit, dass Kritik, die von der öffentlichen Meinung abweiche, überhaupt nicht mehr akzeptiert werde. Ende der 1960er Jahre dagegen seien gerade die kritischen Stimmen von Leuten wie Grass, Peter Handke, Botho Strauß oder ihm selbst erwünscht gewesen.
Keine Provokation für Theatertreffen
Peymann präsentierte zudem die Pläne für ein neues Festival, dem ersten Wien-Festival. Von Sonntag bis 5. Juli präsentiert das Berliner Ensemble Inszenierungen, Lesungen und Filme rund um die österreichische Hauptstadt. Eingeladen sind unter anderem das Wiener Burgtheater, das Theater in der Josefstadt und die IDance Company Wien. Eröffnet werde das Festival am Sonntag (22. April, 19.30 Uhr) vom Wiener Blechbläser-Ensemble Mnozil Brass.
Peymann betonte, das erste Wien-Festival sei nicht als Provokation für das Berliner Theatertreffen (4. bis 21. Mai) zu verstehen. Allerdings könne man das Theatertreffen auch nicht mehr ernst nehmen, fügte er hinzu. Die Auswahl sei ¡wie immer“. Dass er wieder einmal nicht eingeladen sei, finde er jetzt nicht mehr schlimm.
Auf dem Wien-Festival sind unter anderem Inszenierungen von Enrico Lübbe („Geschichten aus dem Wiener Wald“), Mona Kraushaar („Liliom“) und Gert Voss („Elisabeth II.“) zu sehen. Ein Höhepunkt soll der Auftritt der IDance Company am 2. Juni werden, die Künstler mit Down-Syndrom auftreten lässt.
Peymann stellte bereits Pläne für die nächste Spielzeit vor: Gezeigt werden sollen unter anderem Inszenierungen von Katharina Thalbach („Was ihr wollt“), Robert Wilson („Peter Pan“) und Philip Tiedemann („Floh im Ohr“). Er selbst wolle entweder Harold Pinters „Die Heimkehr“ oder „Die Stützen der Gesellschaft“ von Henrik Ibsen auf die Bühne bringen.
Mit harten Worten kritisierte Peymann die Piratenpartei. Die Partei stehe dafür „die Kultur rauszuschmeißen und die Nazis reinzulassen“, sagte er. „Die finden keine Gnade in meinen Augen.“ Piraten seien Mörder und Diebe, fügte Peymann hinzu und verwies auf die vor dem Horn von Afrika agierenden Namensvetter der Partei.
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