■ Die Steinlaus steht nicht mehr im „Pschyrembel“: Petrophaga lorioti ausgestorben?
Als ihr Entdecker gilt ein aus Potsdam stammender adliger Naturforscher. Im Jahre 1983 konnte Victor von Bülow die Gemeine Steinlaus (Petrophaga lorioti) zum ersten Mal auf Trickfilm bannen. Das scheue sechsfüßige Tierchen ernährt sich mit Vorliebe von Ziegelsteinen und Beton. Mit ständig mahlendem Kauwerkzeug futtert es sich durch Plattenbauten, Hochhäuser und Tiefgaragen; selbst Atombunker sind nicht sicher vor der Laus. In Nordhessen stürzte beispielsweise eine Feuerwache nach Steinlausbefall ein – und zwar schon zwei Wochen nach dem Richtfest. Ein Teilstrecke der Autobahn Nürnberg-Leipzig mußte wegen Unterhöhlung der Fahrbahn und Einsturzgefahr der rechtsseitig gelegenen Toilettenhäuschen gesperrt werden.
Auch das medizinische Traditionslexikon „Pschyrembel“ war mehr als ein Jahrzehnt lang von der Steinlaus befallen. So findet sich etwa auf der Seite 1.583 der 256. Auflage aus dem Jahre 1990 folgende bebilderte Eintragung: „Steinlaus: syn. Petrophaga lorioti; zur Familie der Lapivora gehörige einheimische Nagetiergattung mit zahlreichen Spezies. Seit ihrer Erstbeschreibung (1983) ist die St. – u.a. infolge der noch immer offenen Frage ihrer realen Existenz – Gegenstand intensiver Forschung in- u. ausländischer Arbeitsgruppen. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen Fragen des therapeutischen Einsatzes bestimmter Subspezies (Gallen-St., Zahn-St. u.v.a.), eine mögliche Verwendung zur architektonischen Umgestaltung von Großstädten (s.Biotop), evtl. auch von Großhirnen (Rindenarchitektonik). Wenngleich nachhaltige Erfolge der St.-Forschung im Bereich der Ökologie noch ausstehen, sind positive Effekte auf die Befindlichkeit der Forschenden vielfach beschrieben. Die Petrophagologie selbst hat insofern wohl gesicherte therapeutische Funktionen; vgl. Heilverfahren, alternative.“
Warum die Steinlaus ausgerechnet aus der 257. Auflage des „Pschyrembel“ wieder verschwand, die 1994 zum 100. Jubliäum des Lexikons erschien, bleibt den ForscherInnen ein Rätsel. Auch die Pressestelle des „Pschyrembel“-Verlages de Gruyter, die danach traurige Protestpost erhielt, weiß nicht, wieso sich die Steinlaus plötzlich verzogen hat. Dort hofft man, daß sich die Population bis zur 258. Auflage wieder erholt haben wird. Ute Scheub
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