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Petermann - blieb hinten dran!!

Vom tiefen Fall des affigen Alternativ-Fußballmeisters und der Umkehrung aller Werte: „Hinter vor“ Hinter Mailand aus Freiburg wurde sensationeller vierter Titelgewinner der Alternativ-Kicker  ■  Aus Köln Bernd Müllender

Gib mich die Kirsche, die Fußball-Legende aus Krefeld, hätte um ein Haar tragische Fußballgeschichte geschrieben. Die kernige Mannschaft um den faschismusforschenden Intimchef Reinhard Schippkus und die männerfordernde Links -Verteidigerin Helga konnte sich während der 4. Bundesdeutschen Alternativ-Fußball-Meisterschaft am vergangenen Wochenende in Köln zunächst stetig steigern.

Nach dem Eröffnungs-0:3 reiften die Kirschen spielkulturell ständig, verloren dreimal nacheinander nur noch mit 0:1, um im letzten Gefecht über die drohende Fruchtfäule in sich selbst zu triumphieren: Da stand es, ausgesprochen frustrierend, gar 0:4, und der Intimchef informierte die Presse noch während des Spiels wortgewaltig von der bevorstehenden Auflösung des Teams. „Wir verstehen uns menschlich nicht mehr, einer steht vor dem Wahnsinn, ein anderer ist Suizidkandidat. Das kann ich nicht verantworten. Wir lösen uns auf.“

Da gelang Lothar Emmerichs kickenden Enkeln das erste (und einzige) Tor des Turniers, welch ein Triumph, und die Entscheidung wurde augenblicklich revidiert, zumal danach gegen den FC Freilos (die Grüne Tulpe aus Bonn hatte - „Fundis wollten nicht mit Realos spielen“ - kurzfristig absagen müssen) die Schmach des letzten Platzes kampflos vermieden wurde.

Gib mich wieder die Kirsche bleibt der Fußballnation erhalten. Eine andere Alternativ-Legende war derweil auf dem langen Marsch zum Endspiel sensationell gescheitert. Aachens Partisan Eifelstraße versagte trotz guten Spiels gegen die Bloch-Schüler von Im Prinzip Hoffnung (Köln) und wurde zudem, so ihr Teamchef Achim Blickhäuser, „ein Opfer des Systems“.

Die als Leihgabe vom verhaßten DFB pfeifenden Schiedsrichter nahmen die Sache ernster als in Aachens Bunter Liga gewohnt, ein geschundener Elfmeter des Gruppengegners Calamares International (Köln) wurde jämmerlich verschossen, von der schwarzen Autorität (Köln) aber völlig unalternativ wiederholt, weil sein Machtinstrument Flöte (die vermutlich auch aus Köln kam) noch nicht ertönt war. Das war endgültig das Ende des Partisanenkampfes.

Wenig Trost, daß der Vizemeister '88 später die höchste Torquote aller Teilnehmer aufwies, den relativen Torschützenkönig des Turniers stellte (meiste Treffer pro Spiel) und mit dem 9. Platz „den kleinen wahren Alternativ -Titel“ (Blickhäuser) unterhalb der oberen Leistungsacht gewann.

Daß sich im Alternativ-Fußball ein Generations-, wenn nicht gar ein Paradigmenwechsel vollzogen hat, zeigte sich am Aus des hohen Favoriten und zweifachen Titelverteidigers Petermann Stadtgarten. Auf dem Platz scheiterten sie an Kommando letzte Schicht aus Oberhausen und an Aachens Roten Nullen (0:1). Gefeierter Torschütze war Verteidiger Martin, außerhalb des Platzes ein durchaus lieber Mensch, im Zweikampf aber so gnadenlos, daß ein Hansi Pfügler gegen ihn wie ein Internatsschüler wirkt.

Im Duell der alternativen Altgiganten wurden die Petermännchen vom Erzrivalen Partisan Eifelstraße mit 1:2 endgültig in die Zweistelligkeit geschickt. Der Schimpansen-Mythos war dahin, und Reiner Osnowski sagte sich in erster Enttäuschung vom alten Bananenfreund los: „Wir sprühn's auf jedes Klo, neue Affen braucht der Zoo.“

„Hinter vor“, ein wahrhaft werte- und sprachewandelnder Anfeuerungschoral, begleitete Hinter Mailand aus Freiburg ins Finale gegen die Roten Nullen aus Aachen. Die Ergebnisse wollten es, daß sich zwei Brüder gegenüberstanden (sie liefen Hand in Hand auf den Platz) und die rheinischen Namensnullen gegen die Badenser mit einheitlichen Nullen als Rückennummern. 4:2 siegten die überlegenen Freiburg-Milanesen, die glückstrahlend ob der ersten Turnierteilnahme verkündeten, kopierte Stadtpläne ihrer Heimatstadt für die nächstjährige Meisterschaft schon vorsorglich und in diesem Fall auch noch gerechtfertigt selbstbewußt dabeizuhaben.

Mit den Preisen hatte Veranstalter Petermann zum Abschluß doch noch einmal wahrhaft alternatives Niveau bewiesen. Statt häßlicher Pokale oder ähnlichem Mumpitz gab es Devotionalien der Fußball-Geschichte, originell und angeblich original:

Das Toupet von Horst Köppel, Dieter Hoenessens blutgetränkten Stirnverband aus dem Pokalfinale, die Cola -Büchse, die Boninsegna niederstreckte, den Backenzahn von Battiston, eine mundgeblasene Kitschvase von Klaus Fischer, den Damenslip, den Igor Belanow klaute, oder die Flasche Bier, die Sepp Herberger 1954 unter dem Bett von Helmut Rahn gefunden hatte: „Da steckt noch der Geist von Spiez drin.“

Möge auch der Geist des Affen sich bis 1991 in Freiburg regenerieren.

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