Peter Unfried: Tor für Deutschland
■ Wie ich aus unverständlichen Gründen an Berti denken mußte
Weiß nicht, wie das passieren konnte. Bißchen sehr peinlich. Mußte aber tatsächlich eben an ihn denken. Wie er zuletzt stotterte und nur noch „ja, natürlich“ sagte. Wahrscheinlich, weil eben im Hintergrund dieses, hm, Lied lief. Komischer Zufall. Wer schleppt die geilsten Weiber ab? Natürlich: Böörti Böörti Vogts (Shalala Version).
Es interessiert natürlich null, was Berti jetzt gerade macht. Dennoch spekuliert: 1. Sinister durch die Gegend schauen? 2. Herbstdepressiv rein nach Kleinenbroich brettern, um die Sport-Bild zu holen? Aber die kommt ja erst morgen raus. Weiß Berti natürlich auch. Aber was soll er tun? Wen beobachten oder überwachen? 3. Frau Monika in der Küche? 4. Den Stundenplan von Justin? 5. Den letzten Rest seiner Menschenwürde?
Manchmal ist man ja beim tausendsten Hören plötzlich überrascht, was ein Popsong kann. Hieße man Dirk oder so und hätte in der FAZ unlängst einen Sachverhalt auf den Punkt bringen wollen, hätte man formulieren müssen: „Vogts steht für all die Technokraten, die sich bis zum letzten Moment an einer Macht festklammern, die für sie zu komplex geworden ist.“ Heißt man aber Stefan, hat man vor Jahren alles gesagt, in einer scheinbar harmlos-blödeligen Frage: „Wer bestimmt den Speiseplan?“
Nicht, daß jetzt jemand der Verdacht beschleicht, man wolle irgend etwas Gutes sagen über einen „jämmerlich gescheiterten“ (SZ) „Opportunisten“ (FR) oder gar einen Viva- Moderator. Bloß nicht. Aber in diesem Moment, in dem sich ein paar warum auch immer ausgewählte deutsche Fußballer auf ihren schweren Gang ins Atatürk-Stadion vorbereiten, wird einem erst richtig klar, daß die Antwort auf Raabs scheinbar rhetorische Frage: „Wer trainiert die deutsche Elf?“ nicht mehr Berti heißt. Da beschleicht einen schon ein seltsames Gefühl. Wir sind doch die Berti-Dscheneration. Kommt übermorgen übrigens in der Zeit eine Serie drüber. Da wird deutlich, daß wir ja praktisch erzogen wurden (vom kicker) in dem Glauben, ein DFB-Trainer müsse fanatisch besessen alle Energie darauf verwenden, ein beleidigtes Gesicht zu machen, den Speiseplan zu kontrollieren, Laktatwerte zu messen und Scheiß-Fußball spielen zu lassen.
Oh, Berti war doch längst vorbereitet auf Bursa, früher Brussa, er hätte denen, die ihn „schmählich im Stich gelassen haben“ (Netzer) alles erzählen können über die dortige Metall- und Konservenindustrie, die wunderbaren schwefel- und eisenhaltigen Thermalquellen – und den atemberaubenden Blick vom Ulu Dag. Natürlich hätte sein Team eine Seilbahnfahrt dahin unternommen.
Nun sitzt er halt vorm Fernseher, hat ein Video eingelegt und analysiert akribisch, wie Eva Herman den mittlerweile geflügelten Satz sagt: „Guten Abend, meine Damen und Herren. Berti Vogts ist zurückgetreten.“ Würde man ihn fragen, was das soll, würde er antworten: „Ja, natürlich. Ich wollte diese Extremsituation testen. Das ist gelungen.“
Ja, so ist dieser Mann, der bereits mit 23 den Trainerschein bekam. Dieser „smallest coach in the world“ (Raab)... und inzwischen fragt man sich, wie man hier überhaupt auf ihn kam. Genau. Weil das Böörti- Lied zufällig lief. Na ja, nicht ganz zufällig. Ehrlich gesagt: Es wurde in den CD-Player gelegt. Noch ehrlicher: Es ist nicht ausgeschlossen, daß es unter Umständen jemand eingelegt hat, der man selber gewesen sein könnte. Vorsichtig formuliert ist nichts unmöglich, auch nicht, daß man es eben zum zehnten Mal hintereinander angehört hat. Falls das so sein sollte: Warum nur? Vielleicht, um endlich zu verstehen, daß die ganze komplexe Vogts-Problematik in einer Frage zu beantworten ist: „Ach Berti, warum mußtest du auch auf Stelzen laufen?“ Vielleicht auch, weil das irgendwann einmal so was wie „Unser Lied“ war. Vielleicht aber auch nicht.
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