Peter Unfried über CHARTS : Denn schuld daran ist nur die SPD
Die Charts: heute mit Rudi Carrell, Hitler, Schnibben, Lückemeier, Poschardt, Harald Schmidt – und natürlich mit Che
Klimaschutz: Bei der leicht verspäteten Abarbeitung von 2006 legte ich am Wochenende die In-Memoriam-Top-Ten auf. Nummer 1 ist Rudi Carrell: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ Dabei entdeckte ich nach all den Jahren folgende Sätze.
„Der Winter war der Reinfall des Jahrhunderts/ Nur über tausend Meter gab es Schnee// Mein Milchmann sagt: Dies Klima hier, wen wundert’s/ Denn schuld daran ist nur die SPD.“
Dann lacht Carrell sein schönes, falsches Carrell-Lachen („höhöhö“) – und weil er immer ein rechtschaffener Populist war, aber/und die SPD halt 1974 nicht nur Regierungs-, sondern auch noch Volkspartei, relativiert er die Aussage umgehend: „Ich find, das geht ein bisschen weit.“
Ich dachte das auch jahrzehntelang, aber heute muss ich sagen: Carrells verdammter Milchmann hat Recht. Die SPD trägt eine gehörige Mitschuld am Klimaproblem. Und wie es aussieht, wird sie ihr Bestes geben, mit der oder vielmehr als Kohlelobby das Problem zu verschärfen.
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Super-Journalismus: Nachdem alle Preise rechtmäßig vergeben sind, möchte ich doch sagen, dass der mit Abstand beste journalistische Beitrag 2006 – aus dem, was ich zur Kenntnis nehmen konnte – ein Essay von Cordt Schnibben war (Spiegel 24/06), Titel: „Der seufzende Kleinbürger“. Da steht vieles drin über den KB (also uns), und warum er sich neu abgrenzt (nach Hartz ), immer Selbstbestätigung sucht (die beste WM, der beste Patriotismus, das beste Schnitzel usw.) und die Hosen nun noch voller hat als ohnehin schon.
Die beste Kolumne Deutschlands betreibt weiterhin Peter Lückemeier („Herzblatt“) in der FAS. Vordergründig wird da People-Journalismus etwas parasitär zweitverwertet. Man würde denken, das könne jeder. Dass das nicht stimmt, merkt man, wenn Lückemeier mal nicht da ist. Nur naive Feministinnen argwöhnen, die permanente Bejubelung körperlicher Qualitäten ständig wechselnder „Redaktionsassistentinnen“ sei Ausdruck von „Altmännerhumor“. In Wahrheit entlarvt Lückemeier in der bewusst ironischen Übersteigerung den alltäglichen Sexismus und den inhaltsentleerten Körperfetischismus eines Teils unserer Gesellschaft.
PS: Umwerfend komisch ist auch Ulf Poschardts Autorubrik in der Weltwoche. Poschardt tut darin so, als sei er ein Aufsteigerschnösel aus der fränkischen Provinz, der kompensieren muss, was der Motor hergibt. Wenn er sich wünscht, das ganze Land möge mehr wie die S-Klasse von Mercedes aussehen, entlarvt er die neoliberale Leistungsideologie und verhöhnt liebevoll die pervertierte Projektion des Luxusautos als Sexobjekt für physisch und psychisch gestörte alte Männer. Das hoffe ich jedenfalls.
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Hitler: Hahaha.
Und wenn wir schon bei den überflüssigen Diskussionen sind: Bitte 2007 nichts Nostalgisches mehr über das Magazin Spex. Klar war es gestern dufte und gibt es aus Gründen, die ich genau erklären kann, auch einen Teil von mir, der immer und speziell am heutigen Tag nach Graceland will. Aber irgendwann ist auch gut. Vor allem bitte keine Essays mehr, in denen die Leistungsverweigerung von Harald Schmidt (ARD) beklagt wird. Vermutung: Die in Zynismen gekleidete Enttäuschung über Schmidt („Macht nur noch Kompromisse“ – „Danke, dass ich jetzt immer eine halbe Stunde früher ins Bett kann“ usw.) ist in Wahrheit Sublimierung und Verdrängung der Enttäuschung über das eigene Leben. So schleichen sie jetzt ins Bett, diese Schmidt-Kritiker – um dort verbittert konstatieren zu dürfen, dass sie gerade nichts verpassen. Wie traurig! Als verpasse man das Leben nicht, wenn man nicht Schmidt schaut. Um wie viel sympathischer war da die fast kindliche Begeisterung über den übermenschlichen Schmidt, die ja stets eine kaum verhüllte, zukunftsoptimistische Begeisterung über einen selbst beinhaltete. Ich finde Schmidt übrigens nach wie vor optimal.
Die Charts im Januar:
Fernsehen: Harald Schmidt
Buch: Ignacio Taibo II – Che
Nostalgie: Lotte – Stefan Sulke
Philosophen: Peter Sloterdijk
Fragen zur SPD? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf über OVERSEAS