Performance auf der documenta: „Auschwitz on the beach“ abgesagt
Mit einer Performance wollte Franco Berardi auf der documenta auf das Leid der Flüchtenden aufmerksam machen. Stattdessen verbaut er sich den Diskurs.
Man wolle die Vorwürfe weder einfach akzeptieren noch Diskussionen und kritisches Denken aufgeben, sagte Preciado. Daher werde es am Donnerstag anstelle der geplanten Performance um 20.30 Uhr eine Lesung mit Gespräch mit Franco Berardi geben. Die Veranstaltung unter dem Titel „Shame on us“ wolle eine „vielstimmige Unterhaltung“ befördern. Dort werde auch Berardis Gedicht, auf dem die geplante Veranstaltung basiert, verlesen und über die aktuelle Politik der Migration in Europa diskutiert.
Auch documenta-Leiter Adam Szymczyk hob hervor, dass es keineswegs die Absicht der geplanten Veranstaltung gewesen sei, den Holocaust zu relativieren. Berardis Ziel bestehe vielmehr darin, den NS-Mord an den europäischen Juden verantwortungsvoll und ernsthaft als den ultimativen Grenz- und Referenzbegriff für ein extremes, gewaltsames und systemisches Unrecht gegenüber Flüchtlingen auszumachen. Dieses Unrecht werde von nationalen und transnationalen Körperschaften in Europa körperlich an Geflüchteten verübt.
Es gehe nicht vorrangig um die Politik der Erinnerung, mit der sich Deutschland seit langem auseinandersetze, sagte Szymczyk. Vielmehr gehe es darum, was hier und jetzt in und vor den Toren Europas stattfinde, sagte er mit Blick auf das Sterben von Flüchtlingen auf der Flucht nach Europa.
Ankündigung ist eine Reizwort-Geschichte
Die geplante Performance war zuvor auf heftige Kritik der beiden Gesellschafter der documenta gGmbH, die Stadt Kassel und das Land Hessen, gestoßen. Der hessische Wissenschafts- und Kunstminister Boris Rhein (CDU) hatte der documenta einen Abbruch der geplanten Performance empfohlen. Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle hatte sie eine „ungeheuerliche Provokation genannt.
Auch die jüdische Gemeinde hatte sich entsetzt gezeigt und die politisch Verantwortlichen dazu aufgefordert, sich in dieser Angelegenheit zu positionieren. „Die Frage, wie mit der Erinnerung an die Schoah und den damit verbundenen Begriffen umgegangen wird und wie wir künftigen Generationen von diesem unfassbaren Verbrechen berichten, geht uns alle an“, sagte die Vorsitzende Illana Katz.
Die geplante einstündige Performance „Auschwitz on the beach“ basierte auf einem Gedicht des italienischen Autors Franco Bifo Berardis und war mit einem Soundtrack von Fabio Stefano Berardi und einer Bildinstallation von Dim Sampaio versehen. In der Ankündigung der documenta bezichtigte Berardi die Europäer, „Konzentrationslager“ auf ihren eigenen Territorien einzurichten und “Gauleiter„ in der Türkei, Libyen und Ägypten dafür zu bezahlen, die “Drecksarbeit„ entlang ihrer Küsten zu erledigen. „Das Salzwasser hat mittlerweile Zyklon B ersetzt“, hieß es unter anderem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen