: Perfekte Andersartigkeit
Die neue Direktorin des Gropius-Baus kuratiert die hierzulande erste Einzelausstellung der südkoreanischen Künstlerin Lee Bul
Von Alicja Schindler
Träume und Utopien, getragen von futuristischen Theorien, Science-Fiction und visionärer Architektur: „Crash“ heißt die erste Einzelausstellung der südkoreanischen Künstlerin Lee Bul in Deutschland. In der Werkschau zeigt die Kuratorin und Direktorin des Gropius-Baus, Stephanie Rosenthal, Buls Oeuvre seit Ende der 80er bis heute. Von den Performances über ihre Cyborgs bis hin zu utopischen Landschaftsvisionen. Erstmals sind auch Gemälde zu sehen.
Wer Donna Haraways Essay „A Cyborg Manifesto“ von 1984 kennt, auf den oder die dürften Buls „Cyborgs“ oder die „Amaryllis and Transcription“ wie eine Allegorie wirken. Die weißen „Cyborgs“– fragmentierte Körperteile, die weniger an eine Venus von Milo als an wespentaillierte Frauenkörper japanischer Manga-Fantasien erinnern – hängen von der Decke und fügen sich in ihrer Sterilität nahtlos in den weißen Saal der Institution ein. Die „Amaryllis and Transcription“ genauso. Nur in ihrer Form sind sie nicht kantig und maschinenhaft. Mit tentakelartigen, verschlungenen Luftwurzeln greifen die filigranen, geflügelten Hybride um sich. Haraway benutzte die Metapher des Cyborg Mitte der 80er in ihrem Essay als Strategie, um der Binarität des westlichen Denkens zu entkommen.
Kein Körper ist hier ganz. Das Thema der Unvollständigkeit und des Andersartigen zieht sich durch die Ausstellung. Bevor Bul 1997 mit ihrer Arbeit an den Cyborgs begann, lag der Fokus auf ihrem eigenen Körper. Auf mehreren Bildschirmen sind Buls Performances zu sehen. Eindrücklich sind „Cravings“ und „Abortion“ von 1989. Für Erstere trug Bul monströs-skulpturale Kostüme aus weichem Stoff, aus denen tentakelartige Gliedmaßen herauswachsen. Diese zeigt die Ausstellung als Reproduktionen. Für „Abortion“ hing Bul zwei Stunden nackt und kopfüber, in ein Korsett eingeschnürt von der Museumsdecke und verwies auf das Elend der Durchführung einer Abtreibung, die in Südkorea nach wie vor illegal ist.
Im Interview mit der Kuratorin erzählt Bul, wie sehr es sie geprägt hat, „bei linksorientierten Eltern in einem Land aufzuwachsen, das damals linke Ideen nicht billigte“. Die Künstlerin wurde 1964 als Tochter politischer Aktivisten in Südkorea geboren. Aufgrund der Kontrolle während der Militärdiktatur musste sie als Kind mindestens einmal im Jahr umziehen. Deshalb habe sie früh gelernt, die Dinge in Distanz zu betrachten. Das zeigt sich in Buls Arbeiten. Einerseits beobachtet sie genau. Andererseits bleibt sie der Distanz verhaftet. Und löst sich nicht von theoretischen Referenzen oder figurativen Science-Fiction-Ankern. Anspielungen auf Literatur treffen auf die Philosophie Lyotards, die Architektur Bruno Tauts und auf politische Ereignisse.
Durch die bruchlose Präsentation der Cyborgs, Hybride und Monster beschleicht einen zuweilen das Gefühl, ein Archiv von Theorien nach Haraway zu betrachten. Oder die institutionalisierte Andersartigkeit. Das ist erst mal nicht schlecht. Aber wird die Öffnung zum Nicht-Binären zwischen den weißen Wänden der Museumshierarchie nicht eher konserviert statt lebendig?
Je weiter man sich Raum für Raum von den Reproduktionen und den Cyborgs entfernt, desto spannender wird es. Ihre Gemälde sind es, die eine neue Sicht auf die Künstlerin ermöglichen. Die Kuratorin musste Bul dazu überreden, sie erstmals ausstellen zu dürfen. In ihnen entspinnt Bul immer noch erzählerische Referenzen mit Haaren und Blüten auf Samt und Seide. Aber sie lässt hier Leerstellen zu. Zum Schluss fühlt man sich Bul nah. Ihrer ästhetisch ausformulierten Perspektive als Südkoreanerin, als Frau, als Mensch. Zwischen der Fragilität des Körpers und Technik, Theorie, Politik. Und das ist vielleicht das, was zählt.
Bis 13. Januar, Martin Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, Di–So 10–19 Uhr
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