: Penetrante Lobhudelei
■ S T A N D B I L D
(Vom Kellerkind zur Primadonna, Mittwoch, ARD, 21 Uhr) Was passiert, wenn sich jemand fortwährend auf die eigene Brust klopft? Es staubt. Kommt dann noch der Muff von vierzig Jahren Fernsehgeschichte hinzu, ist die Zeit reif für einen Beitrag, der nicht mal für die Öffentlichkeitsarbeit des Senders taugt, weil er eine penetrante Lobhudelei verbreitet. Schon der Vorspann war Warnung genug. „Die Geschichte der Tagesschau, erzählt von...“, teilte das Laufband beflissen mit, und die Märchenonkels Christian Herrendorfer und Winfried Scharlau lehnten sich zurück im Fernsehsessel und plauschten aus dem Nähkästchen, das irgendwo in Dornröschens Schloß stehen mußte, eingesponnen in einen niemals wachgeküßen Alptraum. Dieser hier dauerte beinahe anderthalb Stunden.
Zunächst flanierte Prominenz vorbei. Erhaben, versnobt, gelangweilt. Das britische Thronfolgerpaar fläzt sich in Friedrichs Moderatorensessel, zehn Jahre zuvor war - hoch auf dem blaugelben Wagen - Bundespräsident Scheel anwesend, wirkte aber eher abwesend. Ein Auftakt mit einer Aneinanderreihung von Superlativen, die schon nicht mehr peinlich sind, weil sie nur noch schmerzen. Die Tagesschau: erst „Tor“, dann das „Fenster zur Welt“, „unser Bestes aus dem Norden“, das „ehrwürdigste Studio des deutschen Fernsehens“ - Kapriolen einer Begriffsstammelei, die die Legende Tagesschau gar nicht nötig gehabt hätte.
Nach der Steinzeit folgt die Sturm- und Drangzeit des jungen Mediums, das Unterhaltungsbedürfnis wird durch saftigen Antikommunismus ersetzt. Die Ausschnitte aus dieser Zeit der Tagesschau erschüttern - und das ist so ziemlich der einzige Aha-Effekt der Sendung - das Bild vom objektiven Nachrichtenanspruch der Hamburger. Bei aller Selbstverliebtheit in die schönen Archivbilder der Anfangsjahre bleibt nur noch eine knappe Viertelstunde für die Gegenwart, und die setzt 1978 mit der Geburt der Tagesthemen ein. Als hätte es seitdem kaum etwas Umwerfendes gegeben. Leere Blätter für die letzten zwölf Jahre: Ein miseres Zeugnis könnte keine noch so boshafteste Fernsehkritik geben. Selbst der Titel der Sendung war schlecht gewählt. Die Primadonna des Fernsehens - das zeigte die vorhergehende WM-Reportage - ist längst der Sport, Tor. Tor. Tor. Und in der Halbzeitpause dann die Tagesschau.
chrib
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