■ Pekinger Rock: Der große Überlebende
Anfang Mai veröffentlichte Cui Jian, 37, sein viertes Album, „Die Macht der Machtlosen“ („Wu Neng de Liliang“). Der programmatische Titel verrät die politische Tradition des erfolgreichsten chinesischen Rockmusikers aller Zeiten. Cui bekanntester Titel „Wir haben nichts“ wurde während der Pekinger Studentenrevolte 1989 zur Hymne der Bewegung. Seither darf Cui in seiner Heimatstadt Peking nur in kleinen Bars auftreten, während er in der Provinz Stadien füllt.
taz: Wie wichtig ist Rockmusik in China?
Cui: Die Rockmusik in China ist erst zehn Jahre alt. Anfangs war die Entwicklung schnell und explosiv, dann ging es immer langsamer voran. Mehr läßt sich nicht sagen, weil die gesellschaftliche Wirkung der Rockmusik aus vornehmlich politischen Gründen eingeschränkt ist. Noch immer dürfen Radio und Fernsehen keine Rockmusik senden.
Bezeichnet man Sie zu Recht als Bob Dylan Chinas?
Ich empfinde den Vergleich als Ehre, aber er bringt mich in Verlegenheit.
In Ihren Texten, die Aufnahme ins Pekinger „Lexikon der chinesischen Literaturgeschichte“ gefunden haben, spielt der Begriff Revolution eine große Rolle. Verwenden Sie noch die Sprache der Kulturrevolution, in der alles, auch die Liebe, als Revolution empfunden wurde?
Während der Kulturrevolution besuchte ich die Schule. Die Schulzeit ist für einen Menschen sehr wichtig. Was man dort lernt, vergißt man nicht.
Trifft Ihr Song „Wir haben nichts“ noch die Stimmung?
Die Klagen der jungen Leute sind doch keine materiellen Klagen. Der Grund dafür, daß sie das Lied immer noch gern hören, hat mit einer inneren Leere zu tun. „Wir haben nichts“ – das bezieht sich auf das geistige Leben. Das Lied drückt das Begehren nach mehr Freiraum aus.
Was ist an Ihrer Musik chinesisch?
Meine Texte sind chinesisch. Ich arbeite oft mit traditionellen chinesischen Melodien. Und ich benutze neben westlichen Instrumenten auch chinesische. Das chinesische Schwergewicht aber liegt auf der Sprache: Sie ist oft indirekt, weil viele Wörter mehrdeutig sind. Das entspricht der zurückhaltenden Mentalität des chinesischen Volkes.
Warum ist Peking die Hauptstadt des Rock'n'Roll?
Die moderne Kultur Pekings ist nicht regional, sondern eine Mischung aus allen Orten Chinas. Immer mehr Leute kommen nach Peking, weil sie sich Karriere und Chancen erhoffen. Die Stadt ist zum Treffpunkt von Künstlern, Kunstmanagern und Kunstkennern ganz Chinas geworden – viel mehr als etwa Shanghai. Für den Rock'n'Roll macht das die Sache nicht leichter. Weil Peking politisches Zentrum ist, herrscht hier auch die strengste Kontrolle.
Wie frei können Sie heute auftreten?
Auftritte sind möglich, aber schwierig. Vieles hängt von Beziehungen ab. Die Veranstalter müssen den Regierungsbehörden verständlich machen, daß die Aufführung sinnvoll für die Gesellschaft ist, weil man zum Beispiel Spenden für einen guten Zweck sammelt.
Sind Sie heute nicht freier als vor zehn Jahren?
Die Chancen für Konzertauftritte sind für mich eher geringer geworden. Denjenigen, die berühmt sind und deren Kraft unbeherrschbar erscheint, wird die Tür geschlossen. Die politische Kontrolle ist gewiß nicht lockerer geworden. Wäre das anders, würden in China im künstlerischen Bereich viele Dinge passieren, die heute niemand für möglich hält.
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