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Pechstein greift Antidopinagentur an"Mir schwillt echt der Kamm"

Claudia Pechstein hat in der Causa Franke den wahren Schuldigen schon gefunden: die Nada. Sie hält die Ermittlungen gegen den Erfurter Sportarzt für gegenstandslos.

Claudia Pechstein findet, die Nada sei angetrieben von einem "scheinbaren Aufklärungsgehabe". Bild: dpa

BERLIN taz | Claudia Pechstein und ihr Manager Ralf Grengel haben zu einem neuerlichen Rundumschlag angesetzt. Im Mittelpunkt ihrer Attacken steht die Nationale Antidopingagentur (Nada) in Bonn. Die Ausführungen, die auf Pechsteins Homepage nachzulesen sind, beginnt die Eisschnellläuferin mit den Worten "Mir schwillt echt der Kamm", um danach die Nada und diverse Journalisten, darunter auch den Autor dieses Artikels, verantwortlich zu machen für das "Heraufbeschwören eines angeblichen riesigen Dopingskandals in Deutschland".

Die Nada sei angetrieben von einem "scheinbaren Aufklärungsgehabe", Denunziantentum - und "blöd" sei sie auch. Zunächst einmal: Pechstein echauffiert sich, weil sie der Meinung ist, die Ermittlungen gegen den Erfurter Sportarzt Andreas Franke wegen Blutdopings seien gegenstandslos.

Sie meint beweisen zu können, dass das Verfahren der UV-Bestrahlung einer kleinen Blutmenge (50 Milliliter) bis Ende 2010 erlaubt gewesen sei. Sie habe, schreibt sie, verschiedene Mails aus dem internen Nada-Postverkehr zugespielt bekommen, die eindeutig belegten, dass sogar die Welt-Antidopingagentur (Wada) eine Unbedenklichkeitserklärung abgegeben habe, die Nada aber, wie gesagt, "zu blöd" sei, diese auch richtig zu interpretieren.

Blutmanipulationen waren auch vor 2011 verboten

Die Wada hat der taz am Freitag mitgeteilt, dass die UV-Methode neuerlich untersucht werde und dass Blutmanipulation auch vor 2011 verboten war durch die Paragrafen M1 und M2 der Wada-Verbotsliste. So einfach, wie Pechstein, die auch Patientin bei Doktor Franke war, den Fall darstellt, ist er nicht. Es geht um Interpretationsfragen und die Deutung von möglichen Graubereichen.

In der "Medizinischen Information" der Wada des Jahres 2010, die sich auf die Wada-Verbotsliste bezieht, heißt es, dass intravenöse Infusionen seit 2005 verboten sind, für Injektionen mit einer Spritze gelte jedoch, dass die Gabe von "fluids or other liquid substrates" bis zu einer Größenordnung von 50 Millilitern erlaubt sei.

Da das Ganze formuliert wurde, um die künstliche Manipulation des Blutvolumens (und auch des Körpergewichts; bei Boxern etwa) zu verhindern, sagt der gesunde Menschenverstand, dass mit "fluid or other liquid substances" nicht Blut gemeint ist, sondern erlaubte Flüssigkeiten wie Kochsalzlösung. Außerdem ist in Betracht zu ziehen, dass Franke 60 Milliliter rückführte, weil er die 50 Milliliter Blut mit 10 Millilitern Natriumcitrat (verhindert die Gerinnung von Blutproben) versetzte. Es geht also um Detailfragen, die wohl Gutachter und Experten vor Gericht zu klären haben.

Die Nada widersprach gestern der Darstellung von Pechstein. "Wenn die Wada am 1. Januar 2011 explizit auflistet, dass die UV-Behandlung von Blut verboten ist, dann heißt dies im Umkehrschluss nicht, dass sie vorher erlaubt war", bekräftigte Nada-Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann. Pechstein provoziere bewusst Fehlinterpretationen. Das sieht auch Jürgen Michael Steinacker so - der Ulmer Mediziner ist Mitglied der medizinischen Kommission der Wada.

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5 Kommentare

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  • J
    JoJo0802

    Tja, wenn das umstrittene Verfahren bereits vor 2011 verboten war, warum haben WADA /NADA dann seit Jahren NICHTS unternommen, obwohl sie von den nun angeblich doch verbotenen MEthoden seitz 2007 wußten.

     

    KEINE Sperre, KEIN eingeleitetes Verfahren, KEIN Urteil !

     

    Sollte sich (sehr theoretisch) herausstellen, daß die Methode nun doch verboten gewesen war, müssten sich die WADA- und NADA-Funktionäre wegen Beihilfe verantworten. Die Athleten und der Mediziner hingegen befänden sich in einem Verbotsirrtum und wären deshalb nicht schuldig. D.H. die Dummen wären einz8uig und allein WADA und NADA.

     

    Alleine aus diesem Grund wird die offizielle Position der WADA so bleiben wie sie ist. Alle anderen Äußerungen von WADA-Leuten ist deren Privatmeinung und für die Deutung irrelevant!

  • RF
    rüttnauer for president

    Doping führt wohl nicht nur zur Leistungssteigerung, sondern offenbar auch zu schweren Hirnschädigungen - wie es sich hier am Beispiel von Frau Pechstein zeigt ;)

  • S
    Stev

    Bei juristischen Auseinandersetzungen zählt nun aber nicht "der gesunde Menschenverstand", sondern das, was ausdrücklich festgehalten wurde. Da scheint nach dem, was bisher veröffentlicht wurde, eine Lücke existiert zu haben bzw. unklare Information der Athleten (nicht nur Pechstein) durch die Anti-Doping-Behörde.

    An den Vorredner: Pechstein wurde nicht wegen nachgewiesenem Dopings gesperrt, sondern aufgrund einer Dopingvermutung (Indizien). Pechstein hatte bei den letzten Wettkämpfen ähnliche Blutwerte wie zum Anlaß der Sperre und zeigte sich daraufhin selber an. Das wurde aber nicht verfolgt. Mittlerweile wird es offenbar NADA/WADA-intern auch so gesehen, daß diese Blutwerte natürliche Ursachen haben. Offiziell gibt es keine Stellungnahme, weil dann die Sperre nicht nicht mehr begründbar wäre, was hohe Schadensersatzforderungen nach sich ziehen würde.

  • JA
    J A

    @never!Land. Sie irren. Claudia Pechstein ist noch nie des Dopings überführt worden. Sie hat nie eine positive Probe abgegeben. Sie ist wegen eines "unnormalen Blutbildes" gesperrt und öffentlich geschlachtet worden.

     

    Das ist geschehen, obwohl es von vielen Fachleuten (vorsichtig formuliert) erhebliche Zweifel an dem Verfahren gab.

     

    http://www.spiegel.de/sport/wintersport/0,1518,683599,00.html

  • N
    never!Land

    Was soll man denn von einer wie der Pechstein erwarten, die bereits wegen Dopings überführt und bestraft worden ist?

     

    Es wundert mich auch überhaupt nicht, dass eine Polizeihauptmeisterin der Bundespolizei ein so geringes Unrechtsbewusstsein hat - offenbar gab es ja nicht einmal berufliche Konsequenzen, immerhin ist der Herr Innenminister ja auch gleichzeitig für Sport und damit für das systematische Doping deutscher Athleten verantwortlich.