piwik no script img

Patriotismus in den USAStolz und Vorurteil

"Ich bin stolz, ein Amerikaner zu sein" - wer die USA bereist, wird das oft hören. Die Menschen, die es aussprechen, sind so unterschiedlich wie die Gründe für ihren Stolz.

Der Stolz der Amerikaner: der Patriotismus, die Hymne, die Flagge. Bild: reuters

WIBAUX/MONTANA/DAYTON/OHIO/BRANFORD taz "Warum haben Sie eigentlich eine US-Flagge vor Ihrem Haus?" Karen Teeters braucht einen Augenblick, um auch nur die Frage zu verstehen: "Wir hissen sie nur an Feiertagen, weil es uns zu mühsam ist, sie jeden Abend einzuziehen." Nein, so war das nicht gemeint: Warum wird die Fahne überhaupt gehisst? Sie begreift, zögert, lacht ein bisschen verlegen: "Weil wir patriotische Gefühle haben, nehme ich an." Was heißt das? "Dass wir stolz sind auf unser Land. Auf den idealistischen Teil dessen, wofür die USA stehen: freie Rede, freie Religionsausübung."

Landauf, landab: Fahnen. Der Stolz auf Amerika. Der Patriotismus. Die Hymne, selbst beim Kleinstadtrodeo ein selbstverständlicher Teil des Programms. Auch der Clown nimmt seinen Hut ab und schaut ergriffen. Aber meinen sie eigentlich alle dasselbe, wenn sie dasselbe sagen?

Karen Teeters hat die Begeisterung für ihr Land nicht den Blick auf das verstellt, was sie weniger begeisternd findet. "Gierig und korrupt" seien die Regierung und die Großkonzerne, sagt die pensionierte Lehrerin. "Wir haben uns weltweit in einen so großen Schlamassel hineingeritten, dass der nächste Präsident über ganz besonders große diplomatische Fähigkeiten verfügen muss. Er braucht eine gute Idee, wie wir aus dem Schlamassel wieder herauskommen."

Man hätte eine so zornige Rede vielleicht nicht gerade in Wibaux erwartet. Wibaux, eine winzige Stadt im Osten von Montana inmitten unübersehbar weiten Ranchlandes, ist ziemlich weit weg von - eigentlich von überall. Weniger als 600 Einwohner leben in dem Ort, der nicht einmal drei Quadratkilometer groß ist. Aber es gibt ja Fernsehen. Und Internet. Und Zeitungen. "Wir sollten nicht tun, was die Sowjetunion getan hat: uns in den Bankrott reiten, um Kriege zu führen," meint Karen Teeters.

Doch, manchmal fühle sie sich mit ihren Ansichten hier schon etwas allein, sagt die gepflegte, ältere Dame. Sie lebte an der Westküste, als sie sich vor über 40 Jahren in ihren Mann, einen Rancher aus Montana, verliebt hat. "Manchmal kann ich die Macho-Haltung hier im mittleren Westen schwer aushalten. Ich bin ein Fremdgewächs." Jeder kleine Geschäftsmann glaube, er gehöre zum Big Business: "Und wählt entsprechend. Es macht mich rasend."

Vermutlich werden die Republikaner bei den Präsidentschaftswahlen in Montana wieder eine Mehrheit bekommen. Aber gewiss nicht mit der Hilfe von Karen Teeters. Sie wünscht sich einen Sieg der Demokraten. Rudy Giuliani - den ehemaligen Bürgermeister von New York, der gerne republikanischer Präsidentschaftskandidat werden möchte - hält sie für einen "ogre". Ein Wort, das man sowohl mit "Monster" als auch mit "Menschenfresser" übersetzen kann. Ihr wäre vermutlich beides recht. "Die Tatsache, dass er ein paar nette Dinge nach dem 11. September gesagt hat, qualifiziert ihn nicht für den Job des Präsidenten", meint sie kühl und betont: "Die Entscheidung, ob ich stolz darauf sein kann, Amerikanerin zu sein, liegt nicht bei ihm."

Stolz darauf, ein Amerikaner zu sein, das ist auch der Trucker Harold Patton. Sonst verbindet ihn allerdings nicht viel mit Karen Teeters und ihren Ansichten. Patton hat mit seinem Lastwagen gerade Vogelfutter nach Dayton in Ohio geliefert. Jetzt macht der 50-Jährige in einem Lokal, wo es extragroße Portionen gibt, eine Pause, bevor er nach Detroit weiterfährt, um dort Reifen abzuladen. "Sie leben doch gar nicht in einem freien Land", sagt er wegwerfend. "Was für Freiheiten haben Sie denn schon?" Na ja - wir dürfen halt sagen, was wir denken. Wählen, wen wir wollen. Leben, wo wir möchten. Reisen, wohin es uns zieht. Er winkt ungeduldig ab: "Aber in Ihrem Land dürfen nicht alle eine Waffe tragen, die das wollen, oder?" Nein. Dürfen sie nicht. "Sehen Sie. Ich darf eine Waffe tragen, um meine Familie zu schützen. Sie nicht. Sie sind nicht frei."

Harold Patton hat also eine Waffe in seinem Lastwagen? "Nein. Das wäre illegal." Was hat er denn zu Hause für Waffen? "Gar keine. Aber ich mag das Gefühl, dass ich eine Waffe besitzen könnte, wenn ich das wollte." Scherzt er? Nein, dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Der Graben der wechselseitigen Verständnislosigkeit ist tief.

Der Erste, der versucht, eine Brücke zu bauen, ist Harold Patton: "Stellen Sie sich vor, die Araber versuchten, Ihr Land zu überrennen. Würden Sie ihre Lieben nicht schützen wollen?" Die Reporterin versucht, sich in die Situation hineinzudenken. Keine ganz leichte Aufgabe. Dann sagt sie, überzeugt und nachdrücklich: "Nein. Nicht mit einer Waffe." Es wäre wohl auch wenig erfolgversprechend. Harold Patton zuckt die Schultern. Verächtlich. Ein bisschen ratlos.

Der Lkw-Fahrer ist seit drei Jahren selbstständig. Seine Aufträge erhält er meist über Mobilfunk. Seit 15 Jahren fährt Patton "over the road" - was heißt: Er fährt keine regelmäßigen Etappen, sondern jede Strecke, die er kriegen kann. Egal, wie weit sie ist. Als er in dem Gewerbe anfing, war er nur alle drei, vier Monate mal zu Hause. Jetzt schafft er es zweimal die Woche heim nach North Dakota. Sagt er.

Die Ehe ist kaputtgegangen. Die Bindung an die Kinder sei ihm jetzt das Wichtigste, erzählt er. Deshalb würde er seinem 13-jährigen Sohn auch dringend davon abraten, in die Fußstapfen des Vaters zu treten: Man sei einfach zu lange von zu Hause weg. "Es ist kein gutes Leben. Es ist ein scheußliches Leben." Und was hält er von dem Bild, er sei der König der Landstraße? "Das ist einfach ein Scheiß." Was ihn aufrecht hält: das Gefühl, ein freier Mann zu sein. In einem freien Land.

"Ich bin stolz darauf, ein Amerikaner zu sein", sagt auch Anthony. "Aber ich bin nicht stolz auf alles, was wir getan haben." Der 20-Jährige sitzt vor dem Trailer seiner Tante, die an den Rollstuhl gefesselt ist und bei der er seit einigen Jahren wohnt. Mit 14 wurde er von seiner Mutter zu Hause rausgeworfen, weil er ihren Freund zusammengeschlagen hatte. Vorher hatte der ihn ein paar Mal verprügelt. "Meine Mutter sagt, sie wäre lieber obdachlos, als in einem Trailer-Park zu leben." Wie nett von ihr.

Es gibt inzwischen sehr komfortable Trailer, diese Eigenheime auf Rädern, die eine Mischung zwischen Wohnwagen und Fertighaus sind. Manche sind geradezu luxuriös und stehen in guten Gegenden, von Gärten umgeben. Für das Heim von Anthonys Tante gilt das nicht. Der Trailer-Park inmitten eines kleinen Industriegebiets in Branford, Connecticut ist verwahrlost. Rostige Satellitenschüsseln, roh zusammengehauene Anbauten, Autowracks. Winzige Parzellen. Nur gegenüber von dem Trailer, in dem Anthony wohnt, ist eine freie Wiese. "Da darf zehn Jahre niemand hin", erklärt der Junge. "Weil der Boden mit irgendetwas verseucht worden ist." Womit? Er zuckt die Schultern: "Keine Ahnung."

Anthony hasst das Leben hier: "Wissen Sie, wie die Leute uns nennen?", fragt er mit schiefem Lächeln und beugt sich nach vorn: "Trailer-Müll." Er hatte eine Chance herauszukommen. Ihm war ein College-Stipendium in Aussicht gestellt worden, weil er ein sehr guter Ringer ist. "Nach nur einem Jahr Training der Viertbeste in Connecticut." Aber dann wurde er mit Drogen erwischt. Nimmt er die immer noch? Anthony schweigt. Und grinst.

Jetzt arbeitet er auf dem Bau und träumt davon, von einer US-Organisation für Kampfsportarten aufgenommen zu werden, um an nationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können. Er will demnächst anfangen, dafür zu trainieren. Ganz bestimmt. Hat er schon mal daran gedacht, zum Militär zu gehen? Ja. Daran gedacht schon. Aber: "Haben Sie gehört? Da draußen findet ein Krieg statt. Da muss ich nicht dabei sein."

Anthony ist Kriegsgegner. Er findet, die USA sollten sich aus Konflikten in anderen Teilen der Welt heraushalten. Und sämtliche Nuklearwaffen abschaffen. Scharf verurteilt er den Abwurf der Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki: "Ich habe ja gesagt, dass ich nicht auf alles stolz bin, was wir getan haben."

Derlei Zweifel am Vaterland plagen Joanne Mangels nicht. Sie hat 1985 gemeinsam mit ihrem Mann hoch im Norden von Montana ein Museum gegründet: "Miracle of America." Ein chaotisches Sammelsurium wird dort gezeigt: alte Waagen, Spielzeug, Musikinstrumente, Taschenuhren, Waffen. An den Wänden erklärende Sinnsprüche: "Amerika ist großzügig. Wir haben freigebig jeder anderen Nation auf der Welt Geld und/oder Nahrung gegeben."

Mit dem Museum hätten sie und ihr Mann einfach zeigen wollen, "was Freiheit bewirken kann", sagt Joanne Mangels. Erst wirkt die 72-Jährige nur ein wenig verschroben. Aber dann kommt sie ins Plaudern. Erzählt, dass sie als junge Mutter aus Südkalifornien herkam, um ihre Kinder in der Schule vor "Kriminalität und Gewalt" zu schützen. Was meint sie damit? Zunächst setzt sie den weltweit verständlichen "Ich will ja nichts gesagt haben"-Gesichtsausdruck auf. Um dann, wie ebenfalls weltweit üblich, eben doch etwas zu sagen. Die Integrationspolitik war das Problem. Plötzlich kamen schwarze Kinder in die "netten Teile der Stadt" und der siebenjährige Sohn ihrer Schwester musste Karate lernen, um sich zu schützen. "Die Indianer wollen ja auch am liebsten abgeschottet auf ihren Reservaten leben, weil sie selbst entscheiden wollen, was gut für ihre Kinder ist." So kann man das also auch sehen.

Die Reporterin sagt: "Mein Mann ist übrigens schwarz." Die Scheidung ist ihr vorübergehend entfallen. Joanne Mangels öffnet den Mund. Schließt ihn wieder. Öffnet ihn erneut. Heraus fällt ein gequältes: "Oh. Wie interessant." Dann sammelt sie sich und holt mit letzter Kraft zum Gegenschlag aus: "Ihr Deutschen habt schließlich die Juden umgebracht." Das ist wahr.

Am Straßenrand wirbt ein Möbelgeschäft für ein Sonderangebot. Mit einer jener altmodischen Tafeln, in die Lettern einzeln hineingesetzt werden. "Sofa Set 499 Dollar" steht da in schwarzen Buchstaben. Das zweite "S" ist ein bisschen verrutscht. Darunter: "God bless America." Ein rätselhaftes Land.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!