: Patriotische Lösung für ORF
Österreichs kriselnder Rundfunk baut beim Personal wie beim Programm drastisch ab und geht wohl nicht an RTL
Kahlschlag beim Personal wie beim Programm: Der ORF, Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunk, weist ein Rekorddefizit von rund 100 Millionen Euro aus, das nun radikale Maßnahmen nach sich zieht.
Über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – fast ein Drittel der aktuellen Gesamtbelegschaft von 3.400 Festangestellten – sollen bis 2012 den Hut nehmen. Außerdem geistern Gerüchte über den Verkauf von Teilen des Unternehmens durch das Haus am Wiener Küniglberg, berichtet ein verunsicherter Redakteur. Die zum Bertelsmann-Konzern gehörende RTL-Group soll Interesse bekundet haben. Wahrscheinlicher sei aber eine „patriotische Lösung“: die Übernahme durch den mächtigen Raiffeisen-Konzern. Was konkret an der Gerüchtebörse gehandelt wird, ist ein Verkauf des Kanals ORF 1 gemeinsam mit dem populären Radiosender Ö3, der cash-cow des Medienriesen.
Als „Wunschkonzert gewisser Finanziers“ bezeichnet ein Insider solche Spekulationen. Tatsächlich gibt es keinen vernünftigen Grund, warum sich der auch TV-Werbung zeigende ORF ausgerechnet von seinen rentabelsten Programmen trennen sollte. Im Übrigen wäre für den Verkauf oder Teilverkauf eine Änderung des Rundfunkgesetzes notwendig, das dem ORF den Betrieb von zwei Vollprogrammen vorschreibt.
Gefordert ist zunächst die Politik. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz will sich zunächst darum bemühen, dass die Regierungsparteien ihr bereits 1999 in einem Parlamentsbeschluss gegebenes Versprechen einlösen, dem ORF durch Gebührenbefreiungen für Mindestrentner, Sozialhilfeempfänger und andere entgehende Einnahmen von jährlich 57 Millionen Euro zu ersetzen.
Ein anderer Teil des Defizits ist der Finanzkrise geschuldet: Einerseits wurden Werbeeinschaltungen zurückgefahren, andererseits entfallen dieses Jahr die Zinsen aus dem ORF-Finanzvermögen, die jährlich 40 Millionen betrugen. Schließlich muss der ORF auch noch bei der privaten Pensionskasse Kapital nachschießen, in die ein Großteil der Belegschaft gewechselt ist. Was die Werbung betrifft, steht der ORF – wie die meisten deutschen Sender – noch vergleichsweise gut da. In der Schweiz hatten die beiden Großkunden, die UBS-Bank und der Handelsriese Migros, sämtliche TV-Reklame von einem Tag auf den anderen eingestellt.
Nach den Vorstellungen von Wrabetz, der Anfang 2007 mit großen Vorschusslorbeeren beim ORF antrat, sollen 250 Mitarbeiter durch Pensionierung und Frühpensionierung mittels schmackhafter Angebote abgebaut werden. Weitere 300 Jobs können durch Auslagerungen reduziert werden: vom Gebäudemanagement bis zum Rundfunksymphonieorchester. Noch einmal so viele könnten die feste Anstellung zugunsten freier Dienstverhältnisse aufgeben.
Einsparungen wird es schließlich auch beim Programm geben. Teure Eigenproduktionen, aber auch die TV-Rechte an der Formel 1, deren Fangemeinde überschaubar ist, stehen auf dem Prüfstand. Die von Wrabetz angepeilte Nullrunde bei den anstehenden Gehaltsverhandlungen dürfte aber auf vehementen Widerstand stoßen.
RALF LEONHARD, Wien