Patentexperte zu IT-Kriegen: "Das Ei des Kolumbus"
Patentexperte Florian Müller über den aktuellen Krieg zwischen Apple, Samsung und Co. und die Frage, ob IT-Patente Innovationen bremsen.
Patentexperte Florian Müller betreibt ein viel gelesenes Blog zum Thema Patente in der IT-Branche und erstellt Untersuchungen für Finanzinstitute, Investoren und große Konzerne zum Thema. Früher setzte sich der Patentrechtsexperte als Aktivist gegen die Einführung von Softwarepatenten in der EU ein.
Im taz.de-Interview spricht er über die Wirkung von IT-Patenten auf Innovationen und die aktuelle Auseinandersetung zwischen Apple, Samsung und anderen IT-Anbietern.
taz.de: Herr Müller, Steve Jobs, der kürzlich verstorben ist, gab gegenüber seinem Biografen an, er wolle Googles Handy-Betriebssystem Android "vernichten", weil es glasklar von Apples iPhone abgekupfert sei. Sind die zahllosen Patentstreitigkeiten, die derzeit durch die IT-Branche wabern, immer so emotional?
Florian Müller: Die Emotionalität von Steve Jobs ist legendär, aber auch rein rational hat Apple keine andere Wahl. Es muss um jeden Preis seine extrem hohen Gewinnspannen von mehreren hundert Dollar pro Gerät verteidigen. Android kann Apple so in eine Nische drängen, wie es Apples Macintosh-Computern in den 90er Jahren widerfuhr, als sich Windows durchsetzte. Der momentane Börsenwert von Apple - rund 350 bis 400 Milliarden US-Dollar - ist keinesfalls zu verteidigen, wenn Android mehr oder weniger die gleichen Funktionen bietet.
taz.de: Apple hat bereits einige Erfolge in seinem Patent- und Geschmacksmusterkrieg mit den Android-Anbietern Samsung und HTC vorzuweisen. So ging man erfolgreich gegen Samsungs Galaxy Tab in Europa vor, während sich HTC offenbar nicht davor schützen kann, dass es irgendwann ein Importverbot für die USA gibt. Meinen Sie, dass Apple den Streit auf lange Sicht gewinnt?
Müller: Apple hat Klagen gegen die drei großen Android-Gerätehersteller Samsung, HTC und Motorola laufen. Der Streit mit Samsung ist der ausgedehnteste. Der mit HTC begann zuerst, weshalb Google und die anderen Hersteller mit Sorge beobachten, ob die US-Handelsbehörde ITC gegebenenfalls ein Importverbot verhängt. Denn eine solche Entscheidung zu Apples Gunsten wäre mit relativ geringem Aufwand auch auf andere Hersteller ausdehnbar.
taz.de: Worum geht es im Detail bei diesen Patentkriegen? Sind es hochgradig komplexe Erfindungen oder eher einfache Dinge wie die Tatsache, auf welche Art man ein iPhone aufweckt ("Slide to Unlock")?
Müller: Die Erfindungshöhe variiert stark. Apples wertvollste Patente beziehen sich weniger auf geniale technische Entwicklungen als vielmehr auf gute Ideen, die ich mit der Geschichte vom Ei des Kolumbus - die Schale leicht anknacksen, damit das Ei auf einem Tisch stehen bleibt - vergleichen würde als mit "rocket science". Dagegen machen Microsoft und Oracle überwiegend sehr technisch ausgerichtete Erfindungen geltend, wobei ich persönlich auch diesen Firmen nur einen kleinen Teil ihrer Patente zugestehen würde.
taz.de: Otto-Normal-Verbraucher fragt sich manchmal, warum so einfache Ideen schützbar sind.
FLORIAN MUELLER ist Patentexperte und erstellt Untersuchungen für Finanzinstitute, Investoren und große Konzerne zum Thema. Er betreibt ein viel gelesenes Blog zum Thema Patente in der IT-Branche. Früher setzte sich der Patentrechtsexperte als Aktivist gegen die Einführung von Softwarepatenten in der EU ein.
Müller: Als Laie meint man, dass es im Patentrecht ja gewisse Anforderungen an Neuheit und Erfindungshöhe gäbe. Auf dem Papier stehen die auch. Wenn man aber - so wie ich - dann im Detail die Verfahren verfolgt, in denen über Gültigkeit oder Ungültigkeit von Patenten entschieden wird, stellt man fest, dass die tatsächlichen Hürden viel zu niedrig sind. Den Politikern der großen Parteien gefällt dies aber. Diese meinen, wenn mehr Patente erteilt werden, fände mehr Innovation statt, auch wenn in Wirklichkeit nur Inflation herrscht.
taz.de: Microsoft geht nicht ganz so aggressiv vor wie Apple, verdient aber mit Android offenbar gut. Zahlreiche Handyhersteller zahlen dem IT-Riesen Lizenzgebühren, weil der über ein so reichhaltiges Patent-Portfolio verfügt.
Müller: Der Fairness halber muss ich darauf hinweisen, dass ich aktuell im Zusammenhang mit Patenten, die sich auf Industriestandards wie UMTS beziehen, eine Studie im Microsoft-Auftrag durchführe. Ich bin aber nach wie vor unabhängig und bin ja auch im Gegensatz zu Microsoft ein Kritiker der Patentierung von Software.
Zur Frage selbst: Microsoft weist darauf hin, schon von über 1.100 Unternehmen Lizenzgebühren für seine Patente zu erhalten. Darunter ist sogar der Volkswagen-Konzern, der ein von Microsoft patentiertes Dateisystem in bestimmten Car-Multimedia-Systemen nutzt. Microsoft hat also sein Patent-Portfolio schon länger als Einnahmequelle gesehen, während Apple ganz klar auf seine gesetzlich verbrieften Ausschlussrechte pocht.
taz.de: Patente können beliebig zwischen den Firmen hin und her geschoben werden, so soll Google die Mobilfunkfirma Motorola auch deshalb erworben haben. Mit solchen Patenten wird dann wiederum geklagt. Hat das noch mit Erfindergeist zu tun?
Müller: Meiner Meinung nach ist gegen Patentverkäufe oder auch gegen reine Verwertungsgesellschaften so lange nichts einzuwenden, wie die zu Grunde liegenden Patente gerechtfertigt sind. Dass ein Markt für geistiges Eigentum besteht, ist nicht weiter bedenklich. Problematisch ist, dass offensichtlich das Patentwesen in bestimmten Bereichen zur Erteilung von Monopolrechten führt, die nicht im Interesse der Wirtschaft und Gesellschaft im Ganzen sind, sondern nur einigen wenigen dienen.
taz.de: Sogenannte Patenttrolle sind Firmen, die nur zu dem Zweck gegründet wurden, Patente auszubeuten. Greifen die nur Großkonzerne an? Betrifft das Thema auch kleine Firmen?
Müller: Während es für sogenannte Trolle am lukrativsten ist, Unternehmen wie Microsoft, Apple und Google zur Kasse zu bitten, ist leider auch ein Nischengeschäft entstanden, das darin besteht, Patente gegen diejenigen einzusetzen, die weder über das Wissen noch über die Mittel verfügen, sich angemessen zu verteidigen.
Beispielsweise geraten die Entwickler von Mobiltelefon-Apps, also kleinen Programmen, die man für wenig Geld auf sein Handy herunterladen kann, zunehmend ins Visier von Patentinhabern. Solche Entwickler sind oft Einzelpersonen, die im Fall eines Rechtsstreits nicht einmal unter dem Haftungsschirm einer Kapitalgesellschaft stehen. Zudem machen sich Trolle immer häufiger über die Nutzer angeblich patentverletzender Technologien her, z. B. durch Anmeldung von Ansprüchen gegen Ausbildungsinstitute, die Fernunterricht anbieten und dabei angeblich Video-Streaming-Patente verletzen. Oder sogar gegen Hotels und Cafés, die WLAN-Hotspots bieten.
taz.de: Muss der Gesetzgeber das Patentrecht reformieren? In den USA wurde kürzlich etwas derartiges verabschiedet.
Müller: Die Reform in USA wird so gut wie gar nichts zur Lösung der Probleme beitragen. In Europa hingegen stehen Reformen an, die nach meiner Auffassung die Probleme hier noch deutlich verschärfen werden. So wünschenswert für sich gesehen eine Vereinheitlichung des europäischen Patentwesens ist, so sehr wird dadurch die Hebelwirkung für Trolle und strategische Angreifer erhöht. Weder in den USA noch in Europa sind auch nur die geringsten Ansätze für Reformen erkennbar, die die vorhandenen Probleme in nennenswertem Umfang abmildern könnten.
taz.de: Ist das heutige Patentwesen eher gut für Innovationen oder eher schlecht?
Müller: Meine persönliche Meinung ist, dass im Pharmabereich, in dem wenige Patente auf ein einzelnes Produkt entfallen, vermutlich das Patentwesen unter dem Strich vorteilhaft ist. Aber auf einem Gebiet, auf dem ein einzelnes Produkt tausende, zehntausende oder im Fall eines modernen Smartphones hunderttausende Patente verletzen kann, ist es fehl am Platz. Aus solchen Gebieten müsste das Patentwesen entweder herausgehalten oder dem Trend der Patentinflation durch eine politisch vorgegebene Umkehr - viel mehr Qualität, viel weniger Quantität - begegnet werden.
Interview: Ben Schwan
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