piwik no script img

Pastor über Klage gegen AKW Esenshamm"Wir wurden als Spinner dargestellt"

Er hatte noch nie demonstriert, und dann riss er die Bauern gleich mit: Schon Anfang der 70er Jahre hat Pfarrer Gerhard Ramsauer gegen das AKW Esenshamm geklagt.

Fand Atomenergie schon vor 35 Jahren zu gefährlich: Pastor Gerhard Ramsauer. Bild: Klaus Wolschner
Interview von Klaus Wolschner

taz: Herr Ramsauer, wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann hätte es dieses Kraftwerk Esenshamm nie gegeben?

Gerhard Ramsauer: Das stimmt. Wir sind überrascht worden. Die politisch Verantwortlichen, also der Landrat Müller von der SPD und die aus dem Kreisamt in Brake, haben hinter verschlossenen Türen mit Siemens und der Kraftwerks-Union gekungelt. Erst als alles abgemacht war, sind sie an die Öffentlichkeit gegangen. In deren Augen war das die Ideallösung für die Lösung aller Energiefragen damals, 1975.

Woher war für Sie das Thema Atomkraft präsent? Was das erste Atomkraftwerk?

Biblis war im Bau. Für uns war das Thema bekannt wegen der Diskussionen um die Atombombe. Wir befürchteten eine radioaktive Verseuchung des Weserwassers, das zur Kühlung verwendet werden sollte. Wir haben zudem hier oft Westwinde, und Dedesdorf liegt direkt davor. Zum Kraftwerk guckt man über die Weser, das sind ein, zwei Kilometer. Aber wir waren da allein. Ich bin Theologe, die Bauern sind Bauern. Von Naturwissenschaft verstanden wir nichts. Wir waren angewiesen auf das, was von Bremen und der Universität kam. Die haben uns stark unterstützt.

Wer war das von der Universität?

Der Physikprofessor Jens Scheer war dabei, auch andere. Als es bekannt wurde und wir uns überfahren fühlten, entstand in der Bevölkerung Unruhe.

Hatten Sie vorher je protestiert?

Nein. Ich hatte keine Veranlassung. Ich war der Pfarrer in Dedesdorf. Ich wollte der Bevölkerung eine Möglichkeit gegeben, sich zu orientieren und sich auszusprechen. Es gab in der Wesermarsch kein Forum. In Esenshamm waren alle für das AKW.

Aus wirtschaftlichen Gründen?

Nein, sondern weil das Energieproblem gelöst schien. Man sah darin keine Brückentechnologie, sondern eine endgültige. Natürlich, in der Wesermarsch hoffte man auf Steuern und Arbeitsplätze. Die SPD regierte und war die maßgebliche Betreiberin.

Haben Sie auch ein Schwimmbad versprochen bekommen oder ähnliches?

Bei uns nicht. Aber unser Gemeinderat von Dedesdorf ist zu einer Kaffeefahrt nach Biblis eingeladen worden, die haben also einen wunderbaren Ausflug gehabt, die hatten einen schönen Tag, waren alle dafür. Und haben gesagt: alles ungefährlich. Sie sind eingewickelt worden, gekauft darf ich ja nicht sagen. Sie sind eben auf diese Art ruhig gestellt worden.

Das AKW Esenshamm

Esenshamm sollte eigentlich 2012 stillgelegt werden. Seine Laufzeit wurde durch die CDU-FDP-Bundesregierung kürzlich bis 2018 verlängert.

***

Klagen laufen derzeit gegen die Genehmigung des seit 2007 dort betriebenen Zwischenlagers sowie gegen die Laufzeitverlängerung. Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) soll Sicherheitsrisiken, die der TÜV bei der letzten Prüfung bemerkte, unterschlagen haben.

***

Wegen der AKW-Katastrophe in Fukushima wurde das AKW Esenshamm am 18. März 2011 vorübergehend vom Netz genommen.

***

Wenn Esenshamm wieder in Betrieb genommen wird, nach Ablauf des dreimonatigen Moratoriums, wollen die Atomkraftgegner aus der Wesermarsch aufgrund der Pannengeschichte des Reaktors und der festgestellten Sicherheitsmängel erneut gegen die Betriebsgenehmigung klagen.

***

Gerhard Ramsauer, 82, ehemals Pfarrer im niedersächsischen Dedesdorf, war einer der damals fünf Kläger gegen die Betriebsgenehmigung des Anfang der 70er Jahre geplanten Atomkraftwerkes in Esenshamm. In der Hauptsache hatte die Klage keinen Erfolg, das AKW ging im September 1978 ans Netz. Die in der Wesermarsch regierende SPD unterstützte das Kraftwerk mit Hinweis auf die Arbeitsplätze. 2007 kam ein Zwischenlager hinzu. Ob Ramsauer heutzutage aber wieder die Grünen wählen würde, weiß er nicht. Neben dem atompolitischen müsse man auch andere Politikfelder bedenken.

Aber die Bevölkerung war in Unruhe?

Wir haben eine Unterschriftensammlung in Büttel gemacht, das liegt direkt gegenüber vom Kraftwerk. Die Bauern waren verunsichert und wollten das nicht. Ich fühlte mich als Pfarrer verantwortlich für die Bevölkerung. Mein Kirchenrat hat mich beauftragt, unsere Räume zur Verfügung zu stellen für den Arbeitskreis gegen radioaktive Verseuchung. Der Kirchenrat hat später auch einstimmig beschlossen, dass ich die Kirchengemeinde und ihre Ländereien bei dem Prozess vertreten sollte.

Warum Ländereien?

Wegen der Verseuchung. Die Kühe fressen das, so kommt es in die Milch. Wir waren rechtlich gesehen wegen der Ländereien direkt betroffen und konnten klagen. Der Prozess hat sich über mehrere Jahre hingezogen.

Und?

Wir haben keinen Erfolg gehabt. Am Ende hat es einen Vergleich gegeben, es sind nur Kleinigkeiten erreicht worden, was die Erwärmung der Weser anging. Unsere Experten haben gesagt, dass es keinen Sinn mehr macht, vor das Bundesgericht zu gehen.

Gab es in Ihrer Gemeinde auch Befürworter des AKW? Die Bauern?

Im Gegenteil, deren Ländereien waren ja gefährdet. Die Strahlung hat Ängste erzeugt. Die Bauern haben Trecker-Demonstrationen gemacht über die Fähre, die es damals gab, zur Baustelle. Auf der anderen Seite, in Rodenkirchen, gab es auch Demonstrationen. Und es gab zum Teil sehr aufgeregte Versammlungen. Wir wurden als lächerlich hingestellt. Der Landrat, den ich eingeladen hatte, sagte zu uns: Habt ihr geschlafen? Oder es wurden von hinten Rufe laut: "Licht aus". Wir wurden als Spinner dargestellt. 1976 habe ich im Auftrag des Kirchenrates von der Kanzel abgekündigt, dass der Kirchenrat besorgt ist und die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Unterweser bedauert.

Sie waren der einzige Pfarrer im Ort?

Ja. Natürlich habe ich mit unserem Bürgermeister gesprochen. Er war ein einfacher Mann, stramm SPD. Ich habe ihm gesagt, Sie beschließen da etwas, das ist so gefährlich. Er hat sich das angehört und große Augen gemacht. Und dann hat er sich auf die allgemeine Grundstimmung im Kreis zurückgezogen. Er wollte mich überreden, Ruhe zu geben.

Wer war damals der Sprecher der Kraftwerksgegner in Ihrem Ort? Wer hat auf Demonstrationen geredet?

Das haben Bremer gemacht. Von uns konnte das niemand. Aber dann sind wir offensichtlich beobachtet worden, von einer Staatssicherheit oder Verfassungsschutz oder was für eine Dienststelle das war. Ich bekam jedenfalls einen Anruf aus Stade. Ich habe denen erklärt, dass ich die Leute, mit denen wir hier zusammenarbeiten, kenne und dass ich mich verbürgen kann für das, was sie tun.

Was wollten die aus Stade?

Die hatten offenbar Angst, dass da Unruhe entsteht. Nicht nur Krawall, sondern auch andere böse Dinge. Das ließ uns aufhorchen.

Wegen Jens Scheer?

Davon haben die nichts gesagt. Sicher, da war eine gewisse Linkslastigkeit. Ich weiß nur, dass er uns eine große Hilfe war. Er hat die Texte für unsere Flugblätter gemacht. In der besten Zeit haben wir wöchentlich bis zu 3.200 Flugblätter verteilt. Einmal war nicht nur die Sonnenblume auf dem Flugblatt, sondern sie hatten aus der Seite eine Faust gemacht. Da habe ich zu Jens Scheer gesagt: Das möchten wir nicht, so sind wir nicht veranlagt. Das war eine bürgerliche Geschichte und nicht politisch kämpferisch links oder so was. Das hat er akzeptiert.

Jens Scheer hat nie die Zeitung "Rote Fahne", das Zentralorgan seiner KPD, bei Ihnen verkauft?

Nein, das wäre nicht gegangen.

Gab es damals schon Grüne in der Wesermarsch?

Das war gerade die Zeit, 1977, als erstmalig eine Grüne Liste Umweltschutz bei den niedersächsischen Kommunalwahlen angetreten war. Wir wussten für Dedesdorf genau, wer in welchem Wahllokal Grün gewählt hat. Das waren alles unsere Leute.

Wie viele Wähler hat Dedesdorf?

Rund 200 Einwohner hat Dedesdorf, und etwa 370 wohnen in Eidewarden. Wähler sind es entsprechend weniger.

Wie viele haben die Grünen gewählt?

Vielleicht zwei Dutzend.

Das bedeutet: Viele der Bauern haben trotzdem ihre Parteien gewählt.

Ja, natürlich.

Sie selber haben auch die Grünen gewählt?

Das waren ja unsere Leute. Für uns war Grün Anti-Atom, aber rein bürgerlich.

Wie haben die lokalen Zeitungen Sie behandelt, damals?

Wir haben hier die Nordseezeitung und die Nordwest-Zeitung mit der Wesermarsch-Beilage. Die haben korrekt berichtet, aber sie blieben natürlich im Fahrwasser der maßgeblichen Politiker. Wir waren so eine Erscheinung am Rande.

Sie haben damals zum ersten Mal demonstriert. Hat das Ihr Leben verändert?

Es ist belastend, das ist natürlich klar, wenn man als Pfarrer so eine Position bezieht und in die Öffentlichkeit tritt. Das ging soweit, dass der eine oder andere sagte: Wenn Sie mitmachen, Herr Pastor, dann machen wir auch mit. Das hat mir eine große Verantwortung aufgeladen, das ist etwas, was einen auch beschweren kann. Aber diese Zeit damals hat keine Nachwirkungen gehabt. Heute wählen Sie die Grünen nicht mehr?

Die sind noch im Bereich des Möglichen, aber ich werde zur nächsten Wahl wohl nicht hingehen. Ich habe bisher immer gewählt, gelegentlich auch unterschiedlich. Aber die Positionen sind so, dass ich glaube, dass ich nicht hingehe. Aber am ehesten wären die Grünen dran.

Derzeit streiten Grüne und SPD für die Abschaltung der AKWs. Das motiviert Sie nicht?

Aber es sind auch andere Themen da, die zu bedenken sind.

Hat für Sie die Frage der Atomenergie auch eine theologische Dimension?

Nein. Sie können in jeder Predigt das Thema Umweltschutz ansprechen, aber für mich hatte es keine theologische Seite. Mir war diese Technologie einfach zu gefährlich.

Haben Sie, als Sie in den Nachrichten aus Japan gehört haben, an die alte Zeit zurückgedacht?

Selbstverständlich. In einer Million Jahre könnte es vielleicht mal ein Restrisiko geben, hat man uns damals gesagt, und sich über unsere Sorge hinweggesetzt. Aus der Million sind 30 Jahre geworden. Was wir befürchtet haben - jetzt haben wir es. Das ist eine Bestätigung, aber keine Genugtuung, dass Menschen so etwas erleiden müssen.

Schon zum zweiten Mal, Tschernobyl war ja auch.

Und Harrisburg in den USA. Das kann eben passieren. Diese Ausmaße wie in Japan hätte ich mir damals nicht vorstellen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!