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Partout Paare und Passanten

■ Eric Rohmer hat mit jungen Leuten ein Rendezvous in Paris

Küssen im Jardin du Luxembourg macht Verliebte einzigartig und unsterblich. Ein unvorsichtiger Blick aus dem Augenwinkel wirkt allerdings ernüchternd. Paare überall. Und meist ist auch der unvermeidliche Akkordeonspieler nicht weit. Auch die Rendezvous in Paris begleitet ein singendes Musiker-Pärchen in französischer, farbenfroher Tracht. Diese lebendig gewordene Ansichtskarte umrahmt Eric Rohmers Episoden über Beziehungen junger Leute in Paris und verbildlicht gleichzeitig, was seine Ausgangsfrage gewesen sein muß: Können die Einwohner einer zum Touristen-Klischee verkommenen Weltstadt der Liebenden heutzutage überhaupt noch romantisch sein?

Die hübschen, braven, künstlerisch-akademischen Jungintellektuellen, bei denen Rohmer sich sorgfältig und mit leiser Ironie nach einer Antwort umgeschaut hat, haben aus den Klischees über Liebe und Paris gelernt, daß beide leicht zu verstehen und souverän zu handhaben sind. Esther, eine gepflegte, mittelgescheite Jurastudentin (Clara Bellar), ist erklärte Anhängerin der bedingungslosen, offenen und ehrlichen Beziehung, tauscht aber ebenso entschlossen Blümchenkleid und Strickjacke gegen den schwarzen Body, wenn es gilt, den untreuen Freund eifersüchtig zu machen. Die Mathematikstudentin (Aurore Rauscher) mit Pferdeschwanz in knappsitzender Jeans und Strickjacke – versucht's mit einem Gleichgewicht zwischen zwei Männern, einem fürs Bett und einem lang- und fettighaarigen Geisteswissenschaftler (Serge Renko), „die poetische Beziehung“, für das Sightseeing und Fang-Mich-Spiel. Der Künstler und Bewunderer der grauen Mauern von Paris (Michael Kraft) malt nach der Regel „Ich bin ein besserer Fotoapparat als ein Fotoapparat“ traurige Menschen in mattgrünen Landschaften und will nach einer letzten blonden Schwedin endlich seine kompromißlose Kunstvorstellung auch auf die der Frau übertragen. Bei einer Picasso-Ausstellung findet er prompt ein perfektes, mausgesichtiges, bezopftes Mädchen mit Strickjacke im grauen Kleid.

Natürlich läßt sich die Liebe eine solche Bevormundung nicht gefallen und schon gar nicht in Paris. Und so ist es ein Vergnügen zuzusehen, wie sich die Twens abmühen, die Hindernisse bei der Verwirklichung ihrer Beziehungskonzepte zu bewältigen, die ihnen Paris in Form von unerwarteten Begegnungen oder Erinnerungen persönlich in den Weg zu legen scheint. Zur Rettung der Einzigartigkeit der vielen sehenswürdigen Orte, die sie passieren – und eines Kusses im Jardin du Luxembourg.

May Mergenthaler

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