Partnersuche in Single-Hauptstadt: Wieder jemanden abschleppen
Die Hälfte der Berliner ist geschieden, ledig, oder lebt nicht mit dem Partner zusammen. Kein Wunder also: Das wahre Leben tobt auf den Single-Partys.
Singlepartys gelten als uncool. Im reichhaltigen Berliner Ausgehangebot haben bestenfalls Ü40-Partys ein noch schlechteres Image. Online-Dating ist inzwischen gesellschaftlich aufgewertet. Wer auf irgendeiner Lonely-Hearts-Plattform ein Profil eingerichtet hat, gibt das gern im Bekanntenkreis zu. Bei Singlepartys aber denkt man immer noch an Veranstaltungen für die allertraurigsten Loser, an niveaulose Baggerveranstaltungen, weswegen man niemals zugeben würde, selbst eine solche besuchen zu wollen. Natürlich habe ich mich auch nur zu Recherchezwecken auf eine Singleparty begeben. Und zwar auf Berlins bekanntestem Event seiner Art, die alle zwei Wochen stattfindende „Fisch sucht Fahrrad“-Party im Alberts in Mitte, wo man sonst Cocktails trinken oder an All-you-can-eat-Buffets teilnehmen kann.
Will man die „Fisch sucht Fahrrad“-Party besuchen, muss man nicht erst ewig in einer Schlange stehen, wie in den angesagteren Etablissements Berlins. Auch dass gleich eine ganze Horde von Männern, die sich alle freiwillig der Recherche angeschlossen haben, die Party entern will, scheint niemanden zu stören. Im Alberts wird es als Menschenrecht angesehen, sein Singledasein beenden zu wollen.
Ist man drin, hat man erst mal das Gefühl, sich auf eine Zeitreise zurück in seine Jugend auf dem Land begeben zu haben. Man betritt eine hipsterfreie Zone, was anbetracht des sonstigen Berliner Nachtlebens fast schon Erlebniswert hat. Lauter Normalos hängen hier herum und hören Musik von Creedance Clearwater Revival oder AC/DC, wogegen nichts einzuwenden ist. Böse gebaggert wird hier ganz offensichtlich auch nicht. Das liegt daran, stellen wir bald fest, dass wir auf der Seniorenetage gelandet sind, bei den Ü40-Singles, die vielleicht sogar wegen der Musik hier sind.
Die Musik ist zweifelhaft
Im Untergeschoss, in der sogenannten A-Lounge, wird sich schon eher am offiziellen Partymotto abgearbeitet. Die Musik ist ziemlich zweifelhaft, eine Mischung aus lieblos aneinandergereihten Achtzigerhits und Kirmestechno, aber wenn man dafür einen super Single kennenlernt, erträgt man das natürlich gerne. Es sehen hier schon einige aus wie Sonnenstudioabonnenten aus Marzahn, aber im Großen und Ganzen ist das Singlevolk bunt gemischt. Das Tolle ist: Die Partyatmosphäre ist richtig gut. Man ist schließlich nicht hier, weil man gerade nichts Besseres zu tun hat, sondern man will etwas erreichen. Die Lust auf Sex, auch wenn sie vielleicht von schierer Verzweiflung motiviert ist, liegt in der Luft, und das hat noch keiner Party geschadet.
Lernt man als paarungswilliger Single auf einer normalen Party jemanden kennen, weiß man nie so genau, woran man beim Gegenüber ist. Das kann den Antrieb zum gnadenlosen Flirten schnell hemmen. Hier aber scheint allen klar zu sein, dass potenziell jeder zu haben ist, wenn man nur etwas dafür tut. Beim Anstehen an der Käsetheke würde man jemanden, der Dank einer Flirt-App oder etwas Ähnlichem zu erkennen gäbe, dass er ein ausgehungerter und williger Single ist, auch eher ansprechen, als wenn man befürchten muss, dass im nächsten Moment ein eifersüchtiger Partner mit dem Einkaufswagen angerollt kommt.
Die Bedingungen, endlich mal wieder jemanden abzuschleppen, sind also ideal. Die meisten haben sich offensichtlich auch gut vorbereitet und schon mal vorgeglüht. Man hängt sich ganz anders rein bei dieser vielversprechenden Aussicht auf Erfolg, tanzt dann auch zur Dorfdiskomusik und bestellt sich und dem Single, den man gerade kennengelernt hat, gleich noch ein Bier.
Berlin ist nicht gerade bekannt als die Stadt, in der das Flirten erfunden wurde. Blickkontakt aufnehmen und solche Spielchen kann man hier grad vergessen. Bei „Fisch sucht Fahrrad“ aber herrscht Ausnahmezustand, ähnlich wie beim Karneval in Köln, wo man auch nicht gleich eine gelangt bekommt, wenn man von Narr zu Narr ein Küsschen einfordert. So gut wie jedes Anstarren wird mit einem Zurückstarren belohnt, auch Zuzwinkern und sogar brüderleartige Annäherungsversuche sind erlaubt. Neben mir winkt ein Typ eine Frau mit seiner Bierflasche heran, die auch glatt kommt. Kurz darauf wird schon geknutscht, die Effizienz ist beeindruckend.
So mancher Single, dessen Selbstbewusstsein aufgrund seines schlecht beleumundeten Junggesellendaseins gelitten hat, kann, auch wenn er am Ende wider Erwarten doch wieder alleine nach Hause gehen muss, aufgrund fast schon garantierter Flirterfolge wenigstens das Gefühl mitnehmen, doch noch einen gewissen Marktwert zu haben. „Fisch sucht Fahrrad“ kann also auch gegen Depressionen helfen. Außerdem erlebt der von der Pärchengesellschaft geächtete Single, dass er nicht allein ist mit seinem Problem. So eine Singleparty hat dann auch etwas von einer Selbsthilfegruppe. Man muss sich nicht schämen vor den anderen, die ja auch niemanden haben, der einem sonntags das Frühstück ans Bett bringt. Das beruhigt, und ein naheliegendes Thema für den erforderlichen Smalltalk ist auch sofort zu Hand, eines, das sofort Nähe schafft: „Du bist also Single? So ein Zufall, ich auch?“
Lass uns was machen
Falls es mit dem Baggern dann aber immer noch nicht klappen sollte, bietet „Fisch sucht Fahrrad“ noch einen Extraservice. Man kann an sich eine Nummer in unterschiedlichen Farben anbringen und darauf hoffen, dass jemand einen so gut findet, dass er diese Nummer beim Service-Counter ausrufen lässt. Die Nummern gibt es in drei verschiedenen Farben, von denen jede für eine bestimmte Flirtpräferenz steht. Man kann wählen zwischen, grob gesagt: „Ich will mit dir eine DVD gucken“, „Ich will mit dir eine DVD gucken und dann vögeln“ und „Ich will bestimmt keine DVD mit dir gucken, aber vögeln“. Im Idealfall sieht man also seine Nummer aufleuchten, rennt zur Flirtzentrale, und dort wartet der Traumpartner auf einen, dessen Nummer dieselbe Farbe hat wie die eigene.
In der Realität ist dieser Idealfall wahrscheinlich noch nie eingetreten. „Fisch sucht Fahrrad“ ist dann doch etwas anderes als eine romantische Komödie. Der Selbstversuch zeigt, dass man maximal dreißig Sekunden auf die Projektionsfläche schaut, auf der die eigene Nummer aufleuchten sollte. Wenn sich bis dahin nichts tut, vergisst man die Sache schnell wieder und versucht es lieber auf die konventionelle Art.
Nach „Fisch sucht Fahrrad“ ist aus unserer Männerrunde immer noch jeder Single, was uns schon zu denken gibt, aber wir hatten eine echt gute Party. Vielleicht sollte man sich beim nächsten Mal doch ein wenig mehr bei dem Nummernspielchen reinhängen? Denn eines ist klar: Wir kommen wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen