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Parteitag der PiratenKeine Zeit fürs Grundsätzliche

Kernprogramm oder Öffnung für alle Politikfelder? Seipenbusch plädiert für eine "behutsame Öffnung" – und wird als Chef wiedergewählt. Für die politische Debatte mangelt es an Zeit.

Besser anonym: Pirat mit Balkenbrille. Bild: dpa

BINGEN dpa/apn | Wohin segelt die junge Piratenpartei? Auch bei ihrem Bundesparteitag am Wochenende direkt am Wasser, in Bingen am Rhein, blieb der Kurs noch unklar. Nach langen Debatten über Regularien und einer vielstündigen Befragung der mehr als 20 Kandidaten für den schließlich neu gewählten Bundesvorstand war für die Programmdebatte kaum noch Zeit.

Dabei lagen ursprünglich mehr als 300 Anträge zur Änderung von Programm und Satzung vor. Das soll nun ein Sonderparteitag regeln, beschlossen die rund 1000 Piraten in Bingen.

Trotz der langen Prozedur änderte sich an der Parteispitze nichts: Vorsitzender der Piratenpartei bleibt Jens Seipenbusch. Der 41 Jahre alte Diplom-Physiker erhielt 53 Prozent der gültigen Stimmen. Seipenbusch musste sich gegen sieben Gegenkandidaten durchsetzen. Er war Gründungsvorsitzender der Partei und hatte das Amt erneut seit 2009 inne.

Breiter aufstellen? Oder auf digitale Bürgerrechte konzentrieren?

Seipenbusch zufolge war der Parteitag in Bingen das bis dato größte Treffen der 2006 gegründeten Gruppierung. Bislang drehen sich ihre Kernthemen vor allem um Bürgerrechte im digitalen Zeitalter, Informationsfreiheit, Datenschutz, Urheberrechte und Bildung.

Nach Ansicht von Politikwissenschaftlern handelt es sich damit nach wie vor um eine Ein-Themen-Partei mit Schwierigkeiten, alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen. Wirtschafts- und Eurokrise, die sich öffnende soziale Schere, Klimawandel und ökologische Probleme – hierzu bieten die neuen Freibeuter noch keine Positionen.

"Zur politischen Verortung unserer Partei haben wir noch nichts gehört", beklagt denn auch ein Redner am Samstag. "Wir sind nicht gegründet worden, um uns selbst zu verwalten." Das Programm nur leicht oder stark erweitern - an dieser Frage scheiden sich immer noch die Geister. Der wiedergewählte Parteichef Jens Seipenbusch setzt sich für eine "behutsame" Öffnung ein.

Ungeachtet dessen ist in Bingen der Stolz über die bisherigen Erfolge der strikt basisdemokratisch organisierten Partei deutlich zu spüren. Zwei Prozent bei der Bundestagswahl 2009 nähren bei den Piraten die Hoffnung, bald Parlamente auf kommunaler, Landes- und sogar Bundesebene kapern zu können. Die Zuversicht wird auch durch das schwächere Ergebnis bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl vor einer Woche (1,5 Prozent) nicht getrübt.

"Selbstgestecktem Ziel nicht gerecht geworden"

Seipenbusch räumte ein, dass die Partei mit diesem Abschneiden ihrem "selbstgesteckten Ziel zugegebenermaßen nicht gerecht geworden" sei. Die vergangenen neun Monate seien dennoch die erfolgreichste Zeit der dreieinhalb Jahre dauernden Parteigeschichte gewesen.

Ohne die Piraten hätte es beispielsweise keine Enquete-Kommission "Netzpolitik und digitale Gesellschaft" des Bundestages gegeben, sagte Seipenbusch.

Stolz ist die Partei auch über ihren Beschluss vom Sonntag, das Computerprogramm LiquidFeedback testweise einzusetzen: Dies soll allen Mitgliedern ermöglichen, stets online Entscheidungsfindungen voranzutreiben. Benjamin Stöcker, Beisitzer im Bundesvorstand, sagt zu dieser digitalen Anbindung: "Bei uns ist das Hinterzimmer ein Glashaus. Das wird uns dauerhaft von anderen Parteien unterscheiden."

Auch rein äußerlich gibt es zu diesen große Unterschiede bei dem Treffen in Bingen. Statt Papierstapel steht am Wochenende fast vor jedem Piraten ein Note- oder Netbook. Abstimmungsergebnisse übermitteln sie per Twitter ins Internet – und bei Langeweile surfen sie einfach so im Netz. Die Standardgrußformel ist nicht "Sehr geehrte Damen und Herren", sondern schlicht "Ahoi". Auch eine Krawatte trägt fast niemand, dafür fast jeder schwarze oder orangefarbene Kleidung. Frauen sind allerdings noch immer ganz deutlich in der Minderheit.

Am Schluss hat die junge Partei in Bingen noch ein anderes Problem. Standesgemäß sind Piraten des Nachts mit einem gecharterten Schiff vier Stunden durch das Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal gefahren. Weil aber viele Stunden Parteitag augenscheinlich viele über Gebühr ermüdet haben, sind von 370 reservierten Tickets nur 200 abgeholt worden. Weshalb die 170 Freibeuter, die auf die Flussreise verzichtet haben, zur nachträglichen Spende von jeweils 15 Euro aufgefordert werden.

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15 Kommentare

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  • M
    Martin

    Seltsamer Bericht über eine seltsame Partei. Und was ist aus den Forderungen von 'Piraten-Frauen' nach gleichberechtiger Berücksichtigung bei den Funktionsträgern geworden? Davon erfährt man(n) nichts.

  • C
    cassis

    @ Piraten

     

    Ihr Blindplinsen, dieser Text ist nicht von der Redaktion. APN ist eine Nachrichtenagentur, dpa auch. Wenn Euch jemand basht, was für uns Normaldenkende ja gar nicht der Fall ist. Aber ihr seht die Welt eben anders als die anderen.

     

    Herr, wirf Hirn vom Himmel.

  • K
    Karlchen

    Wer sich einmal die "Mühe" macht, sich einfach mal das Grundsatzprogramm der Piraten anzuschauen, wird feststellen können., das diese Partei durchaus mehr zu bieten hat, als das, was dem flüchtigen Wahlkampfstrategen in Erinnerung bleibt.

     

    Mit dem Tauss haben Sie sich meiner Meinung nach ein echtes "Eigentor" geschossen. Der Mann steht mit einem Bein im Knast und ist (zu Unrecht) politisch ruiniert.

     

    Wer allerdings so "lachs" mit Kinderpornobildern umgeht und möglicherweise damit noch "kokettiert", hat nicht mehr alle Latten am Zaun.

     

    Ich bin übrigens auch für eine völlige Löschung.., wie wohl auch andere Piraten...- nur, wieso weiß das kaum jemand. ,

     

    Die Partei wird noch Lernen müssen, Ihre Positionen klar und deutlich zu formulieren.

     

    Bei Piraten denkt man ja auch schnell an Illigalität, Störtebecker und St. Pauli..

     

    Man weiß eben noch nicht, wohin.., das Schiff segeln wird...-

     

    das Grundsatzprogramm klingt aber besser..als Ihr Ruf.

  • S
    Steffen

    Lese ich ja zum ersten Mal das die "Piraten" illegale Medien dauerhaft löschen wollen ... wo doch die Piraten ihren Ursprung in der "Warez-Szene" haben wie auch der Name aussagt.

     

    In diesen "Szenen" wird ja auch um die Stimmen der jungen "Warez-User" geworben die sich gegen eine Überwachung und schärfere Verfolgung von Raubkopierern stark machen (natürlich aus eigenem Interesse).

     

    Auch wird ja immer wieder betont man sein politisch "neutral" aber liest immer wieder das man zb. mit den "Linken" nichts am Hut hat.

     

    So neutral und unabhängig ist man doch nicht.

     

    Die Piraten sind für mich eine reine Klientelpartei die gesellschaftspolitisch nichts zu bieten hat auch wenn man anfängt dem Image förderliche Forderungen und Parolen von anderen Parteien zu übernehmen um sich wichtiger zu machen als man ist.

     

    Daher habe ich auch für "Interessiert mich nicht" abgestimmt.

  • D
    duke

    Bin ich blind oder traut sich inzwischen nicht mal mehr ein Redakteur seinen Namen zu einem Artikel zur Piratenpartei preiszugeben?

  • S
    swan

    ich verstehe nicht,warum eine partei nur ein thema-das internet-hat.

    wenn die piraten 40% bekommen würden :-),was passiert dann mit bildung& soziales.sind das dann randthemen neben den internet?

    man kann doch nicht mit einen einseitigen programm auftreten und für die anderen wichtigen themen kein plan ?

    warum sich dann so wichtig machen?

     

     

    P.s.@ cdu wähler:eine stabile politik,paßt auf die einkommensschere zwischen arm und reich auf.unter der cdu ist diese immerweiter auseinander gegangen.

    und immer nur die mehrwertsteuer erhöhen kann nicht die lösung für die menschen sein.

  • H
    HansHubert

    Lasst es doch mal gut sein, liebe taz'ler.

    Wir wissen, dass wir bitteschön grün wählen sollen, ihr könnt das Piraten- und Linkebashing jetzt einstellen.

  • J
    Justin-Zane

    Sagt mal, wird es euch nicht langweilig immer und immer wieder diesen negativen Unterton in euren Artikeln zur Piratenpatei durchscheinen zu lassen?! Langsam aber sicher wird das Lesen dieser Artikel wirklich... hm - ermüdend, unglaubwürdig, teilweise sogar lächerlich.

    Ich glaube bei euch noch nie etwas Positives(im Rahmen von authentischer Berichterstattung natürlich) zu dieser Partei gelesen zu haben.

    Wirklich bedauerlich wie ich finde.

     

    cheers

    Justin

  • E
    einerderPiraten

    Dieser Kommentar richtet sich an den Kommentar des CDU-Wählers:

     

    Spasspartei: NEIN! Wir wollen ernsthafte Politik betreiben, der Name ist dabei nicht massgeblich!

     

    Das Urheberrecht abschaffen? Wer wll das? NIEMAND von den PIRATEN, wir wollen es nur den neuen Medien gerecht anpassen. Es stimmt das die illegalen Pornos nicht gesperrt werden sollen, wir wollen sie dauerhaft aus dem Internet LÖSCHEN!!!

     

    Vielleicht ist es nach 40 Jahren Zeit ein klein wenig umzudenken und etwas über den Tellerrand CDU drüberzuschauen... deswegen bin ich Pirat

  • WP
    Weiblicher Pirat

    @Wählt CDU: Das Urheberrecht soll reformiert und an neue Medien und Vertriebsformen angepasst werden, nicht komplett abgeschafft. Und natürlich sind wir gegen Sperren von Kinderpornographie, weil ein Sperren diese nicht verhindert und sie von anderen Ländern weiterhin aufrufbar bleibt. Nur das Löschen sorgt dafür, dass niemand mehr die Kinder weiterhin durch anschauen missbrauchen kann, und nur eine strafrechtliche Verfolgung der Täter kann weitere Taten verhindern. Eine Sperre versperrt lediglich die Sicht auf ein Problem, löst es aber nicht.

     

    Im übrigen, wo bitte schön macht die CDU Politik im Namen des Volkes? Davon merke ich nichts, genausowenig wie bei den übrigen großen Parteien. Klar weiß man was man bei den großen Parteien hat, nämlich stabile Politik im eigenen Interesse, ohne Rücksichtnahme auf das Volk und die Wähler.

  • P
    Piratenweib

    Kleine Korrektur: Die Piratenpartei ist nicht "strikt basisdemokratisch" organisiert. Das steht weder in Satzung noch Programm.

  • T
    Thorben

    "Ohne die Piraten gäbe es keine Enquete-Kommission" - was für ein Quatsch. Bereits unter Rot-Grün gab es die Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ im Deutschen Bundestag, die in 5 Zwischenberichten und einem Schlussbericht eine erste systematische Aufarbeitung des Themas in Deutschland vornahm. Schließlich wurde auch der bis heute existente Unterausschuss "Neue Medien" gegründet.

  • L
    landratte

    Dank dieser "Öffnung" habe ich für mich persönlich die Unterstützung der Piraten beendet. Das Konzept, dass sich eine Partei einem Thema widmet, von der sie etwas versteht und eben nicht die Weltenformel zu finden versucht, fand ich sehr gut.

     

    Ich will aber nicht, dass meine Unterstützung auch in irgendwelchen larifari-Parteiprogrammen bezüglich Wirtschaft et cetera endet.

  • WC
    Wählt CDU

    Piratenpartei, allein der Name suggeriert doch das es sich bei denen nur um eine Spasspartei handelt.

     

    Das Urheberrecht wollen sie abschaffen und sie sind gegen den Jugendschutz und gegen Sperren für illegale Pornos. Nein sowas kann ich als aufrechter Bürger nicht tolerieren.

     

    Ich wähle schon seit 40 jahren CDU und werde es auch weiterhin tun den da weis man was man hat nämlich stabile Politik im Namen des Volkes und nicht solche Spinner !

  • S
    schreiber

    eine langsame (und hoffentlich gute) weiterentwicklung des programms find ich gut. besser die machen das nicht überstürzt. überall ließt man ja profillos, keine themen etc. denke gut ding braucht seine zeit. bin gespannt wie die piraten sich so machen und vor allem ob und wie es die in (ich sach ma) 20 jahren gibt.