Parteitag der Piraten in Bochum: Die Trollangriffe abwehren
Vor dem Parteitag stellt sich der Vorstand der Piratenpartei der Basis zur offenen Aussprache. Sie wollen Frust ablassen. Schließlich soll es später um Inhalte gehen.
BOCHUM taz | Die Gesprächsrunde dauert schon fast eine Stunde, als Bernd Schlömer, 4444/http://:https://spambuster.taz.de:4444/http://der Bundesvorsitzende der Piraten, plötzlich ziemlich laut wird. „Wir wollen in den Bundestag einziehen“, ruft er vom Podest in Richtung der 250 Basispiraten, die jetzt auf den roten Polsterstühlen sitzen. Zum Parteitag werden dann an die 2000 Mitglieder erwartet. Und er sei auch überzeugt, dass es klappt die Fünf-Prozent-Hürde zu reißen.
Aber da brauche es doch ein Wahlprogramm und keine endlosen Debatten über Streit im Vorstand. „Die Außenwirkung müssen wir doch in den Vordergrund stellen, nicht den Bernd Schlömer oder Johannes Ponader“. Gleich danach meldet sich ein Pirat zu Wort: „Ich habe eine einfache Frage: Wie können wir als Basis dafür sorgen, dass ihr alle zurücktretet?“
Diese direkte Forderung ist eine Ausnahme an diesem Abend, aber natürlich darf sie geäußert werden – bei den Piraten ist das keine Frage. Es ist ausdrücklich eine offene Aussprache direkt vor dem zweitägigen Parteitag. Die Basis fragt, der Bundesvorstand antwortet, Meinungen austauschen, Frust ablassen, das gegenseitige Befinden ergründen.
Oder in den Worten des Moderators, einem „Kulturpiraten“ aus Koblenz: „Wie ist die Stimmung, die Lage, dein Gefühl, wer bist du, woher kommst du, wo willst du hin?“ Am eigentlichen Parteitag soll dann nur eins stattfinden: Inhalt. Denn für all die Anträge reicht die Zeit ohnehin nicht.
Die Fokussierung auf die Inhalte ist zumindest die Idee. Aber schon jetzt wird deutlich, dass allein das Verhältnis zwischen Basis und Vorstand einer grundsätzlichen Spannung unterliegt, die jederzeit programmatische Fragen in den Hintergrund drängen kann.
Machtloser Vorstand
Mehr als 1.000 Piraten sind am Samstag zu einem Bundesparteitag in Bochum zusammengekommen. Die Partei will auf dem zweitägigen Treffen im Ruhrgebiet wichtige Lücken in ihrem Wahl- und Grundsatzprogramm schließen. Dazu gehören unter anderem Positionen zur Wirtschafts-, Energie- und Europapolitik. Angesichts stark gesunkener Umfragewerte wollen die Piraten zudem versuchen, mit inhaltlicher Arbeit anstatt mit Personalquerelen auf sich aufmerksam zu machen. Die Partei hat inzwischen rund 34.000 Mitglieder, von denen rund 20.000 berechtigt sind, an Parteitagen teilzunehmen. (dapd)
Auf der einen Seite hat der Vorstand eigentlich keine Macht, die Basis entscheidet alles. Gleichzeitig machen manche Piraten den Vorstand für alles mögliche verantwortlich, was nicht so gut läuft. Von einer richtigen Revolution ist zwar nichts zu spüren im Bochumer Jahrhunderthaus, es ist eher ein Herummosern auf unterschiedlichem Niveau. Aber gerade das kann viel Zeit rauben.
Die Basis reagiert immer sehr sensibel auf das, was im Vorstand abläuft. Deshalb ist der Streit zwischen Bernd Schlömer und dem politischen Geschäftsführer Johannes Ponader wieder ein ausführliches Thema. Schlömer hatte Ponader aufgefordert, endlich mal arbeiten zu gehen anstatt von Spenden zu leben.
Schlömer und Ponader sitzen jetzt einträchtig nebeneinander auf dem Podium wie zwei Schuljungen, die nach einer Schulhofklopperei beim Rektor die Leviten gelesen bekommen haben. Alles wieder gut: Sie hätten sich ja ausgesprochen und festgestellt, dass sie zusammenarbeiten wollen und können – kein weiterer Mediationsbedarf.
„Der wichtigste Aspekt war, dass wir Vertrauen aufgebaut haben“, sagt Ponader. „Ich halte das für ein stabiles, kollegiales Arbeitsverhältnis“, sagt Schlömer. Sie hätten vereinbart, „dass Johannes und ich alles dafür zu tun, dass es nicht zu weiteren Rücktritten im Bundesvorstand kommt. Vor einigen Wochen hatten zwei Vorstandsmitglieder entnervt hingeworfen.
Programmparteitag 2013?
Großen Diskussionsbedarf hat bei den Piraten jetzt auch die Frage, wie lange der Vorstand in der jetzigen Konstellation arbeiten soll. Sie sind sich nicht einig, ob der geplante Parteitag im Mai 2013 ein weiterer Programmparteitag sein soll, um das Wahlprogramm für die Bundestagswahl endgültig festzuzurren oder ob nicht doch der Vorstand neu gewählt werden soll.
Manche fordern auch zwei Parteitage vor der Wahl im Herbst, die Vorstandsleute sagen, das ist schon vom Organisationsaufwand her nicht zu leisten. Auch was die Wahlkampftstrategie angeht, haben die Piraten noch einiges zu klären. Ponader ist wichtig, auf das Programm zu setzen „und nicht auf irgendeine Person, die vorne steht“.
„Wir müssen der Öffentlichkeit zeigen, dass wir Gesichter haben“, entgegenet Schlömer. Der bisherige Slogan „Themen statt Köpfe“ reiche nicht mehr. „Wir müssen Köpfe mit Themen verknüpfen.“ Schlömer kann sich auch ein Szenario vorstellen, in dem einzelne Piraten im Bundestag dann ein Mehrheitsbündnis unterstützen.
Ponader ist wichtig, dass sie in jedem Fall keine konkrete Koalitionsaussage treffen. „Wir werden uns abgrenzen von allen anderen Parteien, das ist unsere Strategie.“ Gleich vorneweg sagt er ganz offen, dass bewusst Sachdebatten im Vorstand zu inszenieren gedenke – damit persönliche Auseinandersetzungen nicht breitgetreten werden.
Keine richtige Begeisterung
Ponader gibt den Motivator. Er schwärmt vom Parteitagsgefühl, dass sich bereits eingestellt habe. Er warnt, auf Twitter rumzuätzen und empfiehlt mehr zu telefonieren: „Durch Shitstorms vermeiden wir gute sachliche Lösungen“. Er reckt die Faust in die Luft: Die niedersächsische Landesliste wurde heute angenommen, ruft er, „wir treten an, wir haben die ganzen Trollangriffe abgewehrt“.
Und er appelliert an das Miteinander: „Das, was wir brauchen, ist miteinander zu sprechen und uns als Team handlungsfähig zu zeigen.“ Es gibt Applaus, aber richtige Begeisterung ist nicht zu spüren. Schlömer sagt, „dass die Piratenpartei viel konstruktiver ist als man gemeinhin glaubt“. Und: „Ich glaube, es wird ein ziemlich cooler Parteitag und wir werden ein cooles Programm abstimmen.“
Nicht alle Basispiraten lassen sich von den euphorischen Worten anstecken. Einige bemängeln, dass bei der Aussprache nur vier von neun Vorstandsmitgliedern da sind. Nur Männer. Es wundere ihn schon etwas, sagt einer, dass ausgerechnet der stellvertretende Vorsitzende Sebastian Nerz nicht anwesend sei, „der ja öfters quergeschossen hat“. Ein anderer äußert im Hinblick auf die betonte Geschlossenheit: „Ich habe eine Glaubenskrise mit dieser spontanen Wunderheilung.“
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