Parteienforscher über Hessen-Koalitionen: "Der Parlamentarismus blüht auf"
In Hessen wird Ypsilanti Rot-Rot-Grün früher oder später noch mal probieren - mangels Alternative. Denn Jamaika, Ampel oder große Koalition wird es nicht geben, so Parteienforscher Wolfgang Schroeder.
taz: Herr Schroeder, wie würden Sie den Politiker Roland Koch charakterisieren?
Wolfgang Schroeder: Koch hat durchaus sozialdemokratische Züge - nicht bei den Inhalten seiner Politik, sondern wegen seiner andauernden Unzufriedenheit mit dem Status quo. Wenn es um die Umgestaltung des Landes geht, ist er nie zufrieden. Um es mit Trotzki zu sagen: "permanente Revolution". Das im ursprünglichen Sinne sozialdemokratische Primat von Fortschritt und Veränderung ist ein wesentliches Moment der Regierungspolitik von Koch. Zuletzt aber hat diese hessische Dauerbaustellenpolitik die Menschen überfordert. Und seine Politik stellt eine Gefahr für den Konservativismus dar.
Wenn Roland Koch ein verkappter Sozialdemokrat ist - ist dann die linke Sozialdemokratin Andrea Ypsilanti etwa eine Konservative?
Ypsilanti ist nicht so einfach zu klassifizieren. Zum einen verkörpert sie eine beharrende, traditionelle Sozialdemokratie, die nur teilweise zu Reformen bereit und Werten wie Sozialstaatlichkeit, Gerechtigkeit und starker Staat verbunden ist. Als Späteinsteigerin ohne kommunalpolitische Verankerung gehört sie zur Notreserve der SPD. Ypsilanti versucht sicher, die traditionalistische hessische SPD für neue Themen wie erneuerbare Energien und eine moderne Bildungspolitik zu begeistern. Es ist ihr aber nicht gelungen, die beiden Strömungen in der hessischen Sozialdemokratie zu bündeln und die Partei insgesamt zu modernisieren. Die Differenzen sind in der Zeit des Wahlkampfs mühsam überschminkt worden, nun brechen sie wieder auf.
Ypsilanti hat also der eigentlich immer noch verschnarchten hessischen Sozialdemokratie nur einen linken Anstrich verpasst - und der Lack ist schon wieder ab?
Wir müssen dieses Denken in linken und rechten Kategorien relativieren. Die soziale Frage steht mit voller Wucht wieder auf der Tagesordnung. Stärker denn je braucht man daher Mindestnormen, aktivierende Elemente und vor allem ein Denken, das ökonomische und soziale Belange wieder zusammenführt. In Hessen aber hat die SPD viel zu lange ihr provinzielles, konservatives Image gepflegt.
Provinziell und konservativ geriert sich aber auch die Linkspartei - und hat Erfolg.
Mit der Existenz der Linken müssen sich alle Parteien abfinden - auch die Union. Deshalb ist auch der Versuch von Ypsilanti, im Bündnis mit der Linken in Hessen an die Macht kommen zu wollen, an und für sich nicht verwerflich. Er ist für viele nur problematisch geworden, weil sie einen Pakt mit der Linken vorher kategorisch ausgeschlossen hatte und sich nachher nicht genügend Zeit genommen hat, Partei und Öffentlichkeit darauf vorzubereiten. Wahlkampf ist Diktatur auf Zeit. Danach ist ein neuer Modus der Integration zu finden -auch gegenüber dissidenten Abgeordneten wie Frau Metzger.
Es wurde also zu wenig Überzeugungsarbeit geleistet?
Genau. Schon bald nach der Wahl gab die Führungsspitze der hessischen SPD die Parole von der Duldung durch die Linke aus. Mahnungen, dass es angesichts der Kräfteverhältnisse im Landtag und auch des Meinungsbildes inner- und außerhalb der SPD zu früh dafür sei, wurden ignoriert. Dabei wäre es besser gewesen, auf eine mittelfristige Strategie zu setzen: also Koch geschäftsführend weiterregieren zu lassen, sich selbst mit der Linken zu akklimatisieren und in diesem Prozess zu versuchen, die Grundlagen für eine neue Konstellation zu schaffen. Damit aber war die Spitze der SPD überfordert. Sie hat sich drängen lassen, wo man hätte kommunizieren müssen.
Und wie geht es jetzt weiter?
Jetzt muss Ypsilanti kommunizieren. Sie selbst hat ja die große Koalition kategorisch ausgeschlossen, und die Ampel wird nicht kommen. Weil die SPD auch Neuwahlen fürchten muss, bleibt ihr nur die Option, es erneut mit Grünen und Linken zu versuchen.
Aber Frau Metzger lässt sich nicht umstimmen. Rot-Rot-Grün hätte dann nur eine Stimme Mehrheit.
Knappe Mehrheiten disziplinieren alle.
Und wenn es nicht klappt? Ist Ypsilanti dann verbrannt?
Das glaube ich nicht. Die Personaldecke ist dünn - und das nicht nur bei der hessischen SPD.
Und der "neoliberale Sozialdemokrat" Roland Koch? Kriegt er "Jamaika" noch hin?
Obgleich Schwarz-Grün in Hamburg die Chancen dafür nicht gerade verschlechtert hat - eher nicht. Die Feindschaften zwischen CDU und Grünen wurden zu lange und zu intensiv gepflegt. Da braucht es Zeit für eine Annäherung. Eher zieht Koch das als Geschäftsführer durch. Ob dies realistisch ist, werden vor allem die Debatten um den Landeshaushalt 2009 zeigen. Der Parlamentarismus jedenfalls ist in Hessen jetzt schon aufgeblüht.
INTERVIEW: KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
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